Archiv für den Monat: Juli 2015

Meine Musik auf Soundcloud

Ein guter Freund hat mich jetzt lang genug bearbeitet, ich solle doch meine Lieder, die ich über die Jahre auf selbstgebrannten CDs veröffentlicht hatte, endlich online stellen, damit man sie auch heute noch – wenigstens ab und zu – hören könne. Ja, die CD, einst Zeichen der Digitalisierung, ist mit ihrer materiellen Gebundenheit bereits wieder veraltet.

Ich habe jetzt zumindest einen Teil meiner Lieder hochgeladen. Zwei Playlists möchte ich hier besonders bewerben:

  • soundcloud.com/fabian-williges/sets/where-i-dont-belong
    Fünf sehr traurige Lieder über das Lieben-aber-nicht-zurück-geliebt-werden. Aufgenommen und produziert von Paul Vogel, den ich vor einigen Jahren in einem meiner Lehrgänge traff. Er hat ein besonderes Gehör und seine ganz eigene Art, an die Lieder heranzugehen. Ich fühle mich von ihm in diesen Liedern besonders gut verstanden.
  • soundcloud.com/fabian-williges/sets/fabian-die-coxx
    Drei Lieder gemeinsam mit der Schülerband „Die Coxx“, die ich über ein Projekt in der VILLA kennengelernt habe. Die Musiker sind heute natürlich keine Schüler mehr, aber zumindest teilweise noch immer Musiker. Ich denke sehr gern an diese Produktion zurück, die wir mit einfachsten Mitteln bewerkstelligt haben.

die bessere hälfte – Kunsthalle der Sparkasse Leipzig

Im Jahr 1998 waren laut Statistik der KSK 43,4 % der professionell als Bildende Künstler arbeitende Menschen in Deutschland Frauen. An den deutschen Kunsthochschulen studieren zu 60 % Frauen. Doch mit den Jahren verschwinden diese Künstlerinnen aus den den Galerien und Statistiken, um als Muse an der Seite eines männlichen Künstlers wieder aufzutauchen oder ganz in Familie und Haushalt aufzugehen. Nun kratzen 43,4 % deutlich stärker an den 50,9 % (Frauenanteil in Deutschland 2010 nach dem Statistischen Bundesamt) als z.B. die 23,4 % Frauen in der Gruppe der professionellen Musiker; trotzdem liegt auch hier noch ein Weg vor uns.

Und wenn man aufgefordert wird, drei bedeutende Bildende Künstler zu nennen, fallen den meisten nur männliche Künstler ein, wie z.B. Vincent van Gogh, der heute vor 125 Jahren starb, und keine einzige Künstlerin. Direkt nach bedeutenden Frauen in der Bildenden Kunst gefragt, bleibt es bei vielen erstmal still. Natürlich gibt es weltberühmte Künstlerinnen. Doch das scheinen vereinzelte Leuchttürme – das Bild ist wohl zu phallisch – oder Oasen in der männlich dominierten Kunstwüste zu sein. Das ist eine vielleicht milde aber subtile und daher umso weiter verbreitete Form des Sexismus, der auch ich mich zeihen lassen muss.

Die Kunsthalle der Sparkasse Leipzig stellt dieser Haltung eine Ausstellung entgegen: die bessere hälfte – malerinnen aus leipzig. Die konsequente Kleinschreibung lässt offen, ob es denn schlicht die Ehefrauen von Leipziger Malern sind, die auchmal zum Pinsel griffen, oder die qualitativ Besseren innerhalb eines Künstlerduos.  Das möchte auch ich hier nicht zu klären versuchen, aber einen Besuch der Ausstellung empfehlen. Sie läuft noch bis Ende August. Für Kunden der Sparkasse Leipzig ist der Eintritt frei. Die Kunsthalle fühlt sich vor allem der Leipziger Schule und der Neuen Leipziger Schule verpflichtet.

Aus der Reihe von Künstlerinnen möchte ich jetzt nur eine namentlich erwähnen: Gudrun Brüne. Ich kannte sie vor dieser Ausstellung nicht. Das qualifiziert mich sicher nicht als großen Kenner der Leipziger Schule. Brüne wurde 1941 in Berlin geboren. 1961 studierte sie an der HGB unter Bernhard Heisig, den sie 1991 heiratete. Bis 1999 lehrte sie an der Burg Giebichenstein in Halle (Saale). Heute lebt sie in Strohdehne im Havelland.

Zwei Bilder von ihr hängen hier – unabhängig voneinander: Selbst mit Vorbildern (1982) zeigt Gudrun Brüne selbst, nachdenklich, fast schmollend vor einem Landschaftsbild. Rechts und Links von ihr sind zwei Bilder, auf denen eine junge Paula Modersohn-Becker und eine Rosa Luxemburg zu erkennen sind. Während Rosa Luxemburg ein schlichtes Bild ist, sieht man auf den zweiten Blick, dass die Malerin Paula Modersohn-Becker persönlich mit am Tisch neben Gudrun Brüne sitzt. Der Rahmen gehört zu ihrem Selbstporträt von 1906, das Brüne hier zitiert.

Das zweite Bild heißt Modellpuppe im roten Kleid (1994). Zu sehen ist eine Gliederpuppe in menschlicher bis leicht übermenschlicher Größe, quasi erschöpft auf einem Stuhl sitzend mit schwarzer Strumpfhose, blonder Perücke und (sic!) rotem Kleid. Das Bild stammt aus einer ganzen Schaffensperiode der Nachwendezeit. Geschichtlicher Wandel und künstlerische Entwicklung einer Malerin lassen sich hier wunderbar erkennen.

Der Katalog zur Ausstellung zeigt für 10 EUR leider nur das erste Bild. An der Kasse ist aber auch der Bildband Traum und Wirklichkeit von Gudrun Brüne zu erhalten, der mit 15 EUR geradezu unverschämt preiswert ist. Hier sieht man weitere Gliederpuppen und das Opus magnum Und immer wieder Guernica (2011) mit deutlichem Picasso-Bezug und weiteren Puppen, diesmal allerdings aus der Sphäre des Kinderspielzeugs.

Auch hier ist die Modellpuppe im roten Kleid leider nicht vertreten. Deshalb zitiere ich jetzt das Bild von der Gudrun Brünes Website, um meinen geschätzten Lesern einen Eindruck zu vermitteln.

Modellpuppe im roten Kleid (1994) von Gudrun Brüne

 

Links
kulturrat.de – Studie: Frauen in Kunst und Kultur II (1995–2000)
kunsthalle-sparkasse.de – Die Kunsthalle der Sparkasse Leipzig
gudrunbrüne.de – Website der Bildenden Künstlerin Gudrun Brüne

Namenstag von Angelus Merula

Sein Name beschreibt mit den lateinischen Formen für Engel und Amsel gleich zwei wichtige geflügelte Boten. Der Engel verkündet die Empfängnis und schließlich die Geburt Jesu und die Amsel jeden Frühlings- und Sommertag den Beginn eines neuen Tages. (Es sollte hier gar nicht Erwähnung finden; aber der Name hat gewisse Ähnlichkeiten mit dem unserer Bundeskanzlerin.)

Angelus Merula wurde 1482 in Brielle in den heutigen Niederlanden geboren. Er studierte Theologie und Kirchenrecht, unter anderem an der Sorbonne. Unter dem Einfluss von Erasmus von Rotterdam beschäftigte sich Angelus Merula mit Reformideen innerhalb der Kirche, stand später allerdings in vielen Punkten der Reformation Luthers näher – vor allem in der Rechtfertigunslehre.

Erst mit 40 Jahren begann er das Studium des Griechischen, um das Neue Testament im Urtext lesen zu können. Mit fast 60 Jahren wurde die Inquisition doch noch auf ihn aufmerksam. Die Prozesse zogen sich. Als er 1557 schließlich auf dem Scheiterhaufen als Ketzer verbrannt werden sollte, kniete er vor dem Scheiterhaufen nieder, betete und verschied. So wurde nur seine Leiche dem Feuer übergeben.

Namenstag von Maria Magdalena

Nun habe ich ganz den 20. Juli 1944 vergessen, dessen man in den heutigen Zeiten (Stichwort Freital) doch gedenken sollte. Das große Jubiläum im letzten Jahr hatte ich dafür feierlich begangen, indem ich eine Sonderausstellung im Militärhistorischen Museum in Dresden besuchte. Nun ist Attentat auf Hitler. Stauffenberg und mehr eine Wanderausstellung. Bis zum 13. September 2015 ist sie in Ludwigsburg (bei Stuttgart) zu sehen. Sie besteht zu großen Teilen aus dem, was der Museumspädagoge Flachware nennt. Es ist also viel zu lesen. Aber mich haben einige der Originalbriefe beeindruckt, die dort gezeigt werden.

Links
mhmbw.de – Militärhistorisches Museum in Dresden
garnisonmuseum-ludwigsburg.de – Garnisonmuseum in Ludwigsburg (aber das sagt ja schon die URL)


Ich wollte mich heute auf Maria Magdalena stürzen; denn heute ist ihr Namenstag, der von nahezu allen Kirchen begangen wird – allerdings in unterschiedlicher Intensität. Maria Magdalena wird im Deutschen auch Maria von Magdala genannt. Das ist kein Adelstitel, sondern eine Herkunftsbezeichnung. Der Name Maria ist zur Zeit Jesu einfach zu häufig gewesen. An Beinamen zur Identifizierung fehlt es unserer Maria aber nun wirklich nicht. Lediglich Maria, die Mutter Jesu, hat noch ein paar mehr.

Maria Magdalena ist eine höchstwahrscheinlich historische Person aus einem Dorf am westlichen Ufer des See Genezareth, was heute unter dem Namen Migdal bekannt ist. Sieben Dämonen soll Jesus ihr ausgetrieben haben, bevor sie selbst eine Jüngerin Jesu wurde. Sie wird an einigen Stellen in den Evangelien erwähnt. Sie ging mit nach Jerusalem, war Zeugin der Kreuzigung und der Auferstehung. Der Religionswissenschaftler David Flusser entwickelte eine Theorie, nach der Maria Magdalena dem Evangelisten Lukas zugearbeitet hätte. Hippolyt von Rom nannte sie bereits im dritten Jahrhundert die Apostelin der Apostel.

Die Geschichte der anonymen Sünderin, die Jesus die Füße wusch und salbte, wurde seit Papst Gregor I. mit Maria Magdalena assoziiert. Aus der Sünderin wurde mit der Zeit eine Prostituierte. Bis ins 20. Jahrhundert hinein wurden Besserungsanstalten für gefallene Mädchen Magdalenenheime genannt.

In einigen apokryphen Schriften gnostischer Tradition wird Maria Magdalena als Gefährtin oder gar Ehefrau Jesu bezeichnet. In popular- und pseudowissenschaftlichen Artikeln und Büchern wurde die kühne These aufgestellt, dass Maria mit Jesus nach Frankreich ausgewandert sein soll. Die Nachfahren bildeten dann das Haus der Merowinger.

Das aus Frankreich stammende Kleingebäck in Form einer Jakobsmuschel trägt seinen Namen Madeleine nur mittelbar der biblischen Gestalt wegen. Die Köchin am herzoglichen Hof zu Lothringen, die das Gebäck erfand, soll schlicht so geheißen haben. Aber sie stammte gewiss aus einer katholisch geprägten Familie.

Während es gerade schwül-warm ist über Leipzig, möchte ich zwei Bauernweisheit zitieren:

An Magdalena regnet’s gern, weil sie weinte um den Herrn.

Und in diesem Zusammenhang vielleicht ein wenig frustrierend:

Regnet’s am St. Magdalentag, folgt gewiss mehr Regen nach.

 

Nach dem CSD in Leipzig

Der Christopher Street Day in Leipzig und die gesamte vorangegangene Aktionswoche ist mit der gestrigen Parade, dem Straßenfest auf dem Marktplatz und dem Pride Ball im Täubchental glamourös zu Ende gegangen. Ich persönlich habe nur das Straßenfest besucht mit Ständen von Vertretern verschiedener queerer Interessensgruppen und Showprogramm auf einer Bühne, unterbrochen von einigen Grußworten. Es war wohl ein erfolgreicher CSD.

Ich selbst sehe die CSD-Feiern mit gemischten Gefühlen. Einerseits haben wir in Deutschland heute nicht die Probleme, welche die Homosexuellen und anderen Minderheiten der New Yorker Christopher Street der späten 60er hatten, was aus einer heutigen Feier immer mehr ausgelassenen Klamauk werden lässt. Andererseits habe ich das Gefühl, dass wir selbst eine solche scheinbar unpolitische Party den sexuellen Minderheiten schuldig sind, die in anderen Ländern – selbst noch auf dem europäischen Kontinent – verfolgt werden.

Wir haben ja auch noch nicht alles erreicht. Von einer allgemein akzeptierten und gesetzlich garantierten Gleichstellung trennt uns noch der eine oder andere Paragraph. Solches wird aber nicht auf dem Marktpatz ausgehandelt. Dafür muss man durch die Institutionen marschieren. Die Stimmung am nach der Mitte lechzenden rechten Rand in Deutschland und anderen Ländern lässt mich allerdings fürchten, dass selbst bereits Erreichtes immer wieder auf dem Spiel stehen kann.

In meinen dunkelsten Augenblicken frage ich mich, ob die Ehe-für-alle nicht schon fast ein Pyrrhussieg wäre. Dieser Tage diskutieren wir über eine Karte bei Google Maps, auf der geplante und errichtete Asylantenheime in ganz Deutschland verzeichnet sind. Und andere lassen sich im Standesamt freiwillig als verpartnert aber damit auch als offiziell homosexuell registrieren. Da müssen die Faschisten ja keine eigenen Schwarzen Listen mehr führen. Aber wie gesagt, das sind die düsteren Momente.

Besonders betroffen von den Schikanen der New Yorker Polizei war übrigens die afro- und lateinamerikanische Bevölkerung. Denn die Sexarbeiter und GoGo-Tänzer in den Schwulenclubs wie dem berühmt-berüchtigten Stonewall waren überwiegend Schwarze oder Latinos. Wie viel (oder eben wenig) sich für sie seit den Stonewall Riots geändert hat, sehen wir ja fast täglich in den Nachrichten, wenn weiße Polizisten mal wieder einen schwarzen Jugendlichen töten.

Um in einer solchen Gemütsverfassung dennoch Mut zu schöpfen, höre ich gern Scott Matthew, der für den absolut genialen Kinofilm Shortbus von John Cameron Mitchell 2006 einige Lieder schrieb. Matthew tritt auch im Film selbst auf. Das letzte Lied des Film heißt – wie originell – In the End. Ich poste es an dieser gleich zwei Mal:

Fremde in unserem Land

In Levitikus (3. Mose 19, 33 und 34) steht geschrieben:

Wenn bei dir ein Fremder in eurem Land lebt, sollt ihr ihn nicht unterdrücken. Der Fremde, der sich bei euch aufhält, soll euch wie ein Einheimischer gelten, und du sollst ihn lieben wie dich selbst; denn ihr seid selbst Fremde in Ägypten gewesen. Ich bin der Herr, euer Gott.

Im Deuteronomium (5. Mose 10, 19) steht noch kürzer:

Darum sollt ihr auch die Fremdlinge lieben; denn ihr seid auch Fremdlinge gewesen in Ägyptenland.

In beiden Fällen ist die Stoßrichtung gleich und gleichermaßen klar. Wenn das Volk Israel an seine Geschichte denkt, kennt es viele unangenehme und schwierige Situationen – immer wieder wird an die Zeit der Knechtschaft in Ägypten erinnert. Wer solches erlebt hat, kann einem anderen Leidenden gegenüber nicht kaltherzig sein.

Die Menschen, die in Freital und anderswo gegen Asylbewerber demonstrieren, sollten auch einmal in sich gehen und nachforschen, was nach Flutkatastrophen passiert ist, wer die Renten zahlt für Menschen, die zu DDR-Zeiten gearbeitet und nicht in des bundesrerpublikanischen System eingezahlt haben, wer die Flüchtlinge aus ehemals deutschen Ostgebieten aufgenommen hat.

Der deutsch-jüdische Impressionist Max Liebermann (1847–1935), der in vier Tagen Geburtstag hat, sprach 1933 einen legendären Satz, als er einen Fackelzug der Nationalsozialisten über den Pariser Platz marschieren sah, welche die sogenannte Machtergreifung feierten:

Ich kann gar nicht so viel fressen, wie ich kotzen möchte.

Diesem Satz möchte ich mich vollumfänglich anschließen.

Link
wie-kann-ich-helfen.info – ein privater Blog von Birte Vogel, der Informationen zu Hilfsprojekten für Flüchtlinge in Deutschland sammelt
perlen-aus-freital.tumblr.com – ein privater Blog, der Kommentare aus Sozialen Netzwerken sammelt, die häufig den Straftatbestand der Volksverhetzung erfüllen

Die besten Bob-Dylan-Alben (oder so)

Gestern war – wie fast jeden Montag – der Gitarrenabend in der VILLA. Gut, eigentlich heißt die Veranstaltung mittlerweile OpenStage, aber ich kann eben kein anderes Instrument als die Gitarre spielen. Reden kann ich noch ganz gut und das habe ich gestern auch getan. In einem Gespräch wurde ich aufgefordert, das beste Bob-Dylan-Album zu nennen. Da war ich erstmal handlungsunfähig. Natürlich höre ich mal das eine oder das andere Album lieber. Gibt es aber wikrlich ein Album, was den Titel verdient hätte, das beste Album zu sein?

Mir fiel Bringing it all Back Home ein, weil das mein erstes Album war. Mr. Tamburine Man hat mich aber schon ziemlich schnell gelangweilt. Jetzt, nach bald dreißig Jahren des Erstkontakts kann ich es langsam wieder hören. Dann gibt es natürlich noch Desire mit One More Cup of Coffee, was ich immer noch sehr gern selbst auf der Gitarre interpretiere. Witzigerweise kannte ich das Lied noch vor Blowing in the Wind, wusste aber nicht, dass es von Dylan  und wer überhaupt dieser Dylan wäre. Ich hörte es von einem älteren Mädchen (sie wird wohl um die 16 gewesen sein) am Lagerfeuer gesungen. So muss man Musik begegnen!

Dann kam mir Pat Garret & Billy the Kid in den Sinn. Da ist immerhin Knocking on Heaven’s Door drauf und außerdem hatte sich mein Gegenüber akademisch und praktisch mit Filmmusik beschäftigt. Aber ein solch unprätenziöses Album kann man niemals das beste Album nennen. Die Streetlegal ist da natürlich noch. Kein Lied auf diesem Album ist dem gemeinen Musikkonsumenten vertraut, aber ich liebe das Album, das mit Bläsern und Tortenchor mal wieder einen Wechsel in Dylans Biografie markierte. Danach die drei christlichen Platten: Slow Train Coming, Shot of Love und Saved. Alle grandios! Aber kann eine von diesen für den ganzen Dylan stehen?

Schließlich darf man die Time out of Mind nicht vergessen. Das bereits der späte Dylan, mit kaputter Stimme und noch mythisch tiefgründigen Liedern. Make You Feel My Love hat Billy Joel, Garth Brooks und Adele zu einigem Erfolg verholfen. Hier findet man das Original. Es ist die Platte eines fast 60-Jährigen, der bereits so viel Erfolg hatte, dass man ihm keinen weiteren mehr zugetraut hätte.

Mit all diesen Gedanken im Kopf sagte ich schließlich, was ich mir selbst niemals zugetraut hätte: Kauf dir einfach eine Best-of! Und während ich heute nun über diesen Eintrag nachdenke, fällt mir auf, dass ich Blood on the Tracks überhaupt nicht erwähnt habe. Wie konnte mir das passieren? Das Album lernte ich selbst erst mit 22 Jahren kennen und hörte die Originalversionen von Liedern, die ich bereits live oder von anderen Interpreten kannte. Das Album war lange Zeit meine liebste CD von allen im Regal. Aber selbst hier muss ich mich wieder fragen: Ist das der ganze Dylan – in a nutshell? Nein.

Zur Lösung biete ich heute an, die Top-Five-Liste der besten regulär erschienenen Live-Alben von Bob Dylan, in zeitlicher Reihenfolge der aufgezeichneten Konzerte. Denn in den unterschiedlichen Versionen seiner mit der Zeit wachsenden Zahl von Klassikern spiegelt sich die musikalische Vielfalt Dylans am besten.

  1. Concert at Philharmonic Hall
    Das Konzert fand am 31. Oktober 1964 in der Philharmonic Hall am Broadway statt. Hier hört man den jungen Folksänger und Protestsongschreiber. Bei vier Liedern wird er von Joan Baez begleitet, die ihm stimmlich deutlich überlegen ist. Drei Monate nach diesem Konzert nahm er Bringing it all Back Home auf und wechselte die akustische Gitarre mit einer elektrischen.
  2. The “Royal Albert Hall” Concert
    Dieses Konzert fan eben nicht in der Royal Albert Hall in London statt, sondern am 17. Mai 1966 in Free Trade Hall in Manchester. Hier hört man ein irritiertes und verärgertes Publikum, welches auf die damals lauteste Band der Welt mit gegenrythmischem Klatschen zu den Liedanfängen reagierte. Berühmt ist der eine Satz, den Dylan vor Like a Rolling Stone seiner Band zuruft: Play Fucking Loud! In der englischen Presse wurde bereits 1966 das Wort Punk auf Bob Dylan und seine elektrifizierten Konzerte mit The Band angewendet.

  3. Before the Flood
    Nach den legendären Konzerten 1966 hatte Bob Dylan einen schweren Motorradunfall. Im Zuge seiner Rekonvaleszenz zog sich Dylan mit The Band nach Woodstock zurück (von dort stammen die Basement Tapes, aber das gehört nicht hier her). Erst 1974 ging er wieder auf Tournee, erneut mit The Band. Die Aufnahmen stammen vom 14. Februar 1974 in Los Angeles. Auch einige Songs von The Band sind mit dabei. Wenn die Stimme des Sängers gar nicht nach Dylan klingen mag, dann ist es Dylan. Sonst singen die Mitglieder von The Band im Wechsel. Im Folgejahr erschien dann mit Blood on the Tracks wieder ein Album in einem neuen Stil.
  4. The Rolling Thunder Revue
    Vom Herbst 1975 bis zum Frühjahr 1976 zog ein verrückter Karnevalszug durch die USA, der neben Musik auch Dichtkunst und politische Botschaften transportierte. Stars wie Joan Baez, Roger McGuinn, Emmylou Harris, Ronee Blakley, Mick Ronson, Sam Shepard und für einzelne Auftritte auch Joni Mitchell, Roberta Flack und Allen Ginsberg sowie Muhammad Ali setzten sich für die Freilassung des zu unrecht verurteilten und inhaftierten Boxers Rubin „Hurricane“ Carter ein. 1976 wurde allerdings der Schuldspruch von 1966 bestätigt. Erst 1985 wurde Rubin Carter vollständig rehabilitiert. Die Aufnahmen der CD entstanden im November und Dezember 1975. In der Winterpause der Tour kam dann das bereits vorab produzierte Studioalbum Desire mit den Liedern der Revue heraus.
  5. At Budokan
    Am 28. Februar und 1. März 1978 wurde die Platte in der Nippon Budokan Hall in Tokio am Anfang einer Welttour aufgenommen. Das ist ungewöhnlich; denn normalerweise wählt man für Aufnahmen ein spätes Datum, damit sich die Tour-Band gut aufeinander einstellen kann. Die Platte ist ein Best-of, allerdings mit sehr geringem Wiedererkennungswert. Das führte zu internationalen Verrissen. Im Rolling Stone hieß es, Dylan habe seine Lieder und sich von den Originalversionen befreit. Das Bild gefällt mir. Wer die Originale will, kann sie ja auflegen. Dylan ist und bleibt aber ein lebender und lebendiger Künstler!

Namenstag von Nathan Söderblom

Heute mögen nicht mehr viele Nathan Söderblom kennen, aber der evangelisch-lutherische Bischof von Uppsala bekam 1930 den Friedensnobelpreis für sein Engagement in der Ökumene. Ein knappes Jahr später, nämlich am 12. Juli 1931 verstarb Söderblom im Nachgang einer Operation mit 65 Jahren.

Söderblom hat auch eine besondere Beziehung zu Leipzig. 1912 wurde in Leipzig das deutschlandweit erste Institut für Religionswissenschaften gegründet. Von der Gründung an bis 1914 hatte Söderblom den Lehrstuhl inne, nachdem er 1901 an der Sorbonne über den Zarathustrismus promoviert hatte und im gleichen Jahr noch eine Porfessur für Religionsgeschichte in Uppsala angetreten hatte. Leipzig verließ er nur, um Erzbischof von Uppsala und somit Oberhaupt der evangelisch-lutherischen Kirche zu werden, die bis 2000 noch schwedische Staatskirche war.

Neben seiner Arbeit als Religionswissenschaftler und staatstragender Theologe fand er auch die Zeit, Kirchenlieder zu dichten. Im schwedischen Gesangbuch sind immer noch einige Texte von ihm zu finden. Ich slebst kenne keinen Text von ihm. Aber einen Satz kennen die deutschen Kirchenmusikliebhaber von Söderblom, selbst ohne sich über die Autorenschaft im Klaren zu sein. Er nannte die Kantaten Johann Sebastian Bachs ein fünftes Evangelium und erhob den Thomaskantor selbst somit zum fünten Evangelisten.

Der deutsche Organist und Komponist Wilhelm Kempff hat dies aus einem Gespräch mit Söderblom 1918 nach Deutschland getragen. Nachzulesen ist dies in seinen 1951 erschienenen Lebenserinnerungen Unter dem Zimbelstern – Das Werden eines Musikers. Manche schreiben dieses Wort auch Albert Schweitzer zu. Das ist natürlich möglich. Mit ihm war Nathan Söderblom übrigens freundschaftlich verbunden. Aber über das Rätseln hätte Schweitzer wohl gesagt, was er ein andermal über Bach gesagt hatte: Hören, spielen, lieben, verehren und das Maul halten!

Aktuelle Euphemismen

Um es kurz zu machen: Mich widert die ganze rechte Scheiße in Sachsen dermaßen an, dass ich auch sprachlich die Contenance verliere, wenn ich auch nur einen Augenblick über die Lage in Orten wie Freital nachdenke. Wenn es nur ein paar kahlgeschorene und fehlgeleitete Dorftrottel wären, die mal ein wenig rumbrüllen wollen, um sich Brüllen zu hören, könnte ich das einfach ignorieren. Aber dass in den Asylantenheimen Flüchtlinge auf einen rechten Mob schauen müssen, von dem sie nicht sagen können, ob er sie letztendlich am Leben ließe, erschreckt mich so sehr, dass ich mich schnell auf einen Nebenschauplatz flüchten muss, um nicht vollständig handlungsunfähig zu werden.

Der damalige Gouverneur von Kalifornien Hiram Warren Johnson sprach 1914 den seitdem oft zitierten Satz: das erste Opfer des Krieges ist die Wahrheit. Und die Wahrheit hat ein so zartes Wesen, dass es nicht einmal Stiefel braucht, um sie zu zertreten. Es reichen allein schon Worte, falsche Worte. Das wussten auch die Nazis, die mit Goebbels an der Spitze einen Propaganda-Apparat schufen, welcher die Kunst des Euphemismus auf seine bisherige Spitze trieb. Victor Klemperer hat die Sprache der Nationalsozialisten einer äußerst luziden Studie unterzogen, die bereits 1947 unter dem Titel LTI – Notizbuch eines Philologen erschien. Die Abkürzung LTI steht dabei für den Terminus Lingua Tertii Imperii und karikiert damit bereits einen Aspekt der Nazisprache – den AF (=Abkürzungsfimmel), der einen ersten Schritt der Verschleierung darstellt.

Dem Geist Klemperers folgend möchte ich meine Top-Five-Liste den aus meiner Sicht schlimmsten Euphemismen der neuen deutschen Rechten widmen:

  1. PEGIDA und LEGIDA etc. pp.
    Als ich das erste Mal von PEGIDA hörte, musste ich des Klanges wegen an Paddington Bear denken, der mit seinem „Things are always happening to me. I’m that sort of bear.“ zumindest auch in die Kategorie Problembär fällt. Doch das war bestimmt nicht beabsichtigt. Dennoch haftet all diesen Abkürzungen der Demonstrationsinitiativen etwas gewollt Harmloses, ja, fast Albernes an. NPD klingt ja so historisch nah nach NSDAP, aber LEGIDA scheint eher ein neuer Hit von Ricky Martin zu sein, gleich nach Living la Vida Loca. Vielleicht wurden sie deshalb auch so lange (bis heute) in ihrer Gefährlichkeit unterschätzt.
  2. besorgte Bürger und Patrioten
    Man muss sich nur einige der geifernden Kläffer vor dem Asylbewerberheim in Freital in den Nachrichten anschauen, und man weiß, dass dies keine besorgten Bürger sind, die ihrer Sorgen wegen ein paar Fragen stellen möchten, um Klärung und Erleichterung zu erfahren. Mich erinnern diese leider eher an das gesunde Volksempfinden, welches 1938 in der Reichskristallnacht in einen spontanen Volkszorn ausbrach.
    Ich weiß, dass der Begriff des Patrioten in weiten Kreisen Deutschlands einen sehr schlechten Ruf genießt. Pegida und Konsorten helfen da bestimmt nicht. Ich möchte das Wort einmal probehalber auf mich anwenden: Ich bin froh, in einem wohlhabenden Rechtsstaat hineingeboren worden zu sein. Ich kann mich mit vielen Kulturschaffenden der deutschen Geschichte identifizieren. Ich liebe die deutsche Sprache (gerne auch mal ohne sächsische Einfärbung). Ich schaue die beiden Fußballweltmeisterschaften und wünsche jeweils „meiner“ Nationalmannschaft den Erfolg des Sieges. Ich denke, man kann mich einen Patrioten nennen. Ich habe in meinem Freundeskreis Menschen aus Belgien, England, Frankreich, Indien, Italien, Kanada, Kongo, Niederlande, Polen, Schweden und den USA. Das stößt sich in keiner Weise damit.
  3. Asylgegner
    Das Wort transportiert nebenbei die Ansicht, man könne ein Gegner des Asylrechts sein. Das Asylrecht ist mit dem Artikel 16a aber ein Teil der unantastbaren Grundrechte (siehe Artikel 19, 2). Nach Artikel 17 hat jedermann das Recht, sich mit Bitten oder Beschwerden an die zuständigen Stellen zu wenden. Vielleicht sollten das die besorgten Bürger eher machen, als den Asylbewerbern zu drohen.
  4. echte Flüchtlinge vs. Wirtschaftsflüchtlinge
    Es seien keine echten Flüchtlinge, weil es nur junge Männer wären, aus Ländern, wo Deutsche Urlaub machen. Nun möchte ich nicht an dieser Stelle über die Urlaubsgewohnheiten mancher Deutscher urteilen. Der Begriff des Flüchtlings ist in der Genfer Flüchtlingskonvention geklärt. In Deutschland entscheidet darüber nicht ein Mob sondern das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bzw. ggf. das zuständige Gericht. Wenn im deutschen Verfahren die Flüchtlingseigenschaft festgestellt wird, ist dies übrigens lediglich ein deklaratorischer Akt; denn Flüchtling war man schon vorher.
    Tatsächlich ist die Flucht nach Naturkatastrophen in der Genfer Flüchtlingskonvention nicht vorgesehen. Das spricht meines Erachtens nicht gegen die Flüchtlinge, sondern gegen die Konvention. Selbstverständlich muss ich aber fair bleiben und die aktuelle Rechtslage bedenken. Interessant ist aber doch, dass gerade in einem Bundesland wie Sachsen, das nach der bankrotten DDR jetzt der prosperierenden Bundesrepublik angehören darf und bei den Elbehochwassern nicht nur die Solidarität dieser gesamten Bundesrepublik, sondern auch die 350 Mio. EUR schwere Hilfe der EU für zukünftigen Hochwasserschutz zu spüren bekam, nun so kleinlich reagieren möchte. 2002 mussten des Hochwassers wegen ganze Ortschaften in der Sächsischen Schweiz evakuiert werden. Wenn sich die Zeitgenossen des Weißeritz-Hochwassers in Freital erinnern mögen, haben sie sich 2002 auch wie Flüchtlinge gefühlt. Wie gefühlskalt müssen die FRIGIDA-Demonstranten sein?
  5. Wir sind das Volk
    Dieser Satz wird wohl noch in Jahrhunderten zitiert und diskutiert werden, ganz wie Soldaten sind Mörder und dann sollen sie Kuchen essen. Und wie diese anderen Sätze auch, entfernt er sich nicht nur von seinem historischen Ursprung, sondern mit gleichem Tempo von seinem Wahrheitsgehalt. Als am 7. Mai 1989 bei den Kommunalwahlen der DDR die Einheitsliste der Nationalen Front mit 98,85 Prozent bestätigt worden sein wollte, konnte mit Unterstützung kirchlicher Gruppen in einigen Wahlkreisen die offensichtlich und dreiste Wahlfälschung nachgewiesen werden. Die Montagsdemonstranten erinnerten die Mächtigen des Landes, das 1949 als Volksdemokratie gestartet ist, dass das Volk nicht auf gefälschten Wahlzetteln, sondern auf der Straße zu finden sei.
    Am 9. Oktober 1989 rief ein Leipziger Flugblatt dann den Einsatzkräften zu: Wir sind ein Volk! Gewalt unter uns hinterläßt ewig blutende Wunden! Für die entstandene ernste Situation müssen vor allem Partei und Regierung verantwortlich gemacht werden. Im November schon markierte dieser leicht veränderte Satz den Willen zur sogenannten Wiedervereinigung.
    Wenn heute die Demonstranten aus dem PEGIDA-Dunstkreis die Parole skandieren, schließen sie nicht andere ein, wie etwa die Sicherheitskräfte am Rande der Züge, sondern sie schließen alle aus, die nicht in ihre Definition von Volk passen. Sie maßen sich damit eine ungeheure und grundgesetzwidrige Deutungshoheit an, verstecken dies aber in einem allgemein positiv konnotierten Satz.

Lügenpresse, das Unwort des Jahres 2014, hat hier keinen Eingang gefunden, weil es eben kein Euphemismus ist. Es gehört aber selbstverständlich in die Reihe von Wortschöpfungen, -entlehnungen und Zitaten, die Victor Klemperer mit Argwohn betrachtete.

Namenstag von Jan Hus

Martin Luther (1483–1546) war nicht der erste, der unter großer persönlicher Gefahr das anprangerte, was seiner Überzeugung nach in der katholischen Kirche des Mittelalters in die Irre lief. John Wyclif (1330–1384) predigte bereits 150 Jahre vor Luther gegen die Reliquienverehrung und übersetzte die Bibel ins Englische. Allerdings war die Grundlage seiner Übersetzung nicht wie bei Luther der hebräische bzw. griechische Originaltext, sondern die lateinische Vulgata. Auf dem Konzil von Konstanz (1414–1418) wurde Wyclif posthum zum Ketzer erklärt. Im Jahre 1428 ließ der Bischof von Lincoln Richard Fleming, der selbst auch am Konzil teilgenommen hatte, die Gebeine Wyclifs exhumieren und verbrennen.

Unter anderem von den Schriften Wyclifs inspiriert, stritt der tschechische Theologe Jan Hus (1372–1415) gegen die zunehmende Verweltlichung der Amtskirche und für die Gewissensfreiheit. Außerdem setzte er sich für Gottesdienste in der jeweiligen Landessprache ein. Heute vor genau 600 Jahren wurde er auf dem Konzil von Konstanz als Ketzer verbrannt, nachdem ihm vom König und späteren Kaiser Sigismund freies Geleit zugesichert worden war.

Besonders bekannt ist ein Satz, den Hus kurz vor seiner Hinrichtung gesagt haben soll: Heute bratet ihr eine Gans, aber aus der Asche wird ein Schwan entstehen. Im Deutschland der Reformation deutete man diesen Satz auf Luther, weshalb auf evangelisch-lutherischen Kirchen oft statt eines Wetterhahns ein Schwan zu sehen ist.

Luther selbst bekannte 1520 in einem Brief an seinen Freund und Beichtvater Friedrichs des Weisen Georg Spalatin: Ich habe bisher unbewusst den ganzen Hus gelehrt und gehalten. Und etwas später schreibt er noch: Wir sind alle unbewust Hussiten. Ja, Paulus und Augustin sind aufs Wort Hussiten.

Alle drei hier im Artikel genannten Reformer und Reformatoren sprachen sich übrigens gegen die Heiligenverehrung aus. Aber auf dieser Website gedenken wir ja nur ihrer und bitten sie nicht um Beistand am Throne Gottes. Dann ist es wohl auch weiter in Ordnung so.