Am 31. August 2015 sprach Angela Merkel die mittlerweile wohl berühmtesten drei Worte ihrer Kanzlerschaft: „Wir schaffen das!“ Es ist fast ein Jahr vergangen seit der Sommerpressekonferenz und in der sich neigenden Woche wiederholte sie diesen Satz. Aber in der Zeit zwischen der ersten und der letzten Konferenz verging keine Woche, ach, kein Tag, da nicht dieser Satz der Bundeskanzlerin vorgehalten wurde, als wären diese drei Worte nicht ein Ausdruck von Optimismus, sondern ein dolchstoßender Verrat am deutschen Volke.
Was wollen die Kritiker denn stattdessen von der Kanzlerin hören? – „Wir schaffen das nicht; die Deutschen werden nun ganz schnell untergehen.“ – Welch ein Kleingeist kann sich überhaupt dieses Kurzsatzes wegen echauffieren?
Mir geht es hier nicht um eine Regierungs-Apologie. Über jeden einzelnen Schritt kann man streiten. Der Neun-Punkte-Plan ist sicherlich diskussionswürdig, mindestens was den Einsatz der Bundeswehr angeht.
Auch möchte ich nicht das Leid der bei Anschlägen Verwundeten, Getöteten und deren Angehöriger banalisieren. Aber einige Tote ändern nicht grundlegend das Schicksal eines 80-Millionen-Landes. Das wäre auch schlimm, wenn es sich so verhielte. Was machten wir dann mit Unfalltoten, Mordopfern, Todkranken?
Nach einem Anschlag (oder nach einer zugegebenermaßen Häufig von Anschlägen bzw. Amokläufen) muss natürlich geschaut werden, was im Einzelnen diese Tat ausgelöst oder begünstigt hat. Aber wie vor Gericht gilt da die Einzelfallprüfung und nicht ein schnelles Pauschalurteil.
Nach einem Familiendrama wie dem sogenannten erweiterten Suizid, der sich ja leider auch immer wieder ereignet, Sagen wir doch auch nicht, die Familie berge als Modell des Zusammenlebens ein zu großes Risiko, das Familienrecht müsse auf den Prüfstand, eventuell gehöre die Institution der Ehe generell abgeschafft. Nein! Wir schauen genau, was passiert ist, und schaffen präventive Angebote. Denn bei Taten, die den eigenen Tod implizieren, würde eine Strafrechtsverschärfung nicht besonders abschreckend wirken. Außerdem leben wir in einer arbeitsteiligen Gesellschaft, d.h. nach einer Phase der Betroffenheit, Trauer und Anteilnahme überlasse ich den entsprechenden Fachleuten das Feld. Ich muss keinem Cyber-Lynchmob angehören.
Allerdings gefällt sich auch die Presse im Schüren einer gewissen ängstlichen Stimmung, die Merkels Worte als eine Mischung aus Leichtfertigkeit, Naivität oder gar Hohn aufnehmen lässt. In jedem zweiten Radio-Interview wird der eine oder andere Grundrechtsartikel bemüht. Da lobe ich mir die ruhige Art der Kanzlerin, die besonnen agiert und nicht gleich jedes Gesetz infrage stellt.
Das Grundgesetz ist nach den Erfahrungen der nationalsozialistischen Verbrechen verfasst worden. So nüchtern kalt das klingen mag, ein paar Amokläufe oder auch Terroranschläge können an den Prinzipien nichts ändern.
Und der einzelne Bürger kann gegen weiteren Terror in unserem Lande vor allem eins machen: selber keinen Anschlag verüben.