Heute wäre der polnische Maler, Bühnenbildner und Theaterregisseur Tadeusz Kantor 105 Jahre alt geworden. Das ist eine Formulierung, die eigentlich nur den Frühvollendeten vorbehalten ist. Wer mit 27 Jahren stirbt, wäre am folgenden Geburtstag 28 Jahre alt geworden. Gut, heute gibt es eine Reihe von Überhundertjährigen. Deshalb erlaube ich mir diese Formulierung. Und das Leben des Tadeusz Kantor überspannt Zeitalter, wenn er auch nur innerhalb eines Jahrhunderts gelebt hat.
Geboren wurde Kantor am 6. April 1915 in der Kleinstadt Wielopole Skrzyńskie, die – damals noch zu Österreich-Ungarn gehörend – mit dem Ende des Ersten Weltkriegs Teil des wiedergegründeten Staats Polen wurde und 1933 ihren Status als Stadt einbüßte. Er studierte bis 1939 an der Akademie für Schöne Künste in Krakau. Während der deutschen Besatzung leitete er das Unabhängige Theater im Untergrund. 1948 wurde er Professor an der Kunstakademie. 1955 wendete er sich wieder vermehrt dem Theater zu. Kantor ist ein wichtiger Vertreter der 1957 begründeten zweiten Krakauer Gruppe, die sich niht nur mit ihrem Namen auf die expressionistische Künstlervereinigung der 30er Jahre bezog.
In Deutschland konnte man Werke von Tadeusz Kantor auf der zweiten und sechsten Dokumenta in Kassel bewundern (1959 und 1977). 1975 huldigte er – neben der unverholenen Systemkritik an der Volksrepublik Polen – dem großen Jan Matejko (1838–1893), indem er dessen „Preußische Huldigung“ [siehe Ausschnitt Beitragsbild] als ein archiviertes Museumstück mit einzeln verpackten Figuren darstellte. Nur der Hofnarr Stańczyk, der im Originalgemälde in der Stunde des Triumphs bereits das Ende Polens vorausahnt, ist bei Kantor überdeutlich und wortwörtlich hervorgehoben. Sieht der weise Narr hier bereits das Ende der Volksrepublik?
Der 6. April ist allerdings auch der Todestag von so vielen bedeutenden Personen, dass ich gleich noch eine Top-Ten-Liste hintanfüge:
- Notker I. (840–912) – Wir kennen ihn heute wohl vor allem als ersten Biografen Karls des Großen, obwohl er selbst erst 26 Jahre nach seinem Tod geboren wurde.
- Richard Löwenherz (1157–1199) – Es ist schwer, diesen König von England objektiv zu bewerten, kennt man ihn heute doch hauptsächlich personifiziert durch Senior-Darsteller am Ende von Robin-Hood-Filmen.
- Raffael (1483–1520) – Heute ist sein 500. Todestag. Er ist so bedeutend, dass sogar seine Gegner Mitte des 19. Jahrhunderts zur Beschreibung ihres Stils seinen Namen wählten (die Präraffaeliten).
- Albrecht Dürer (1471–1528) – Er ist wohl der wichtigste Kupferstecher und Holzschneider Deutschlands. Aber vor allem bleibt sein Hase.
- Hermann Koch (1814–1877) – Ich kenne diesen Harzer Bergbeamten nicht. Aber in Zeiten von Corona dachte ich, es kann nicht schaden, den Vater von Robert Koch mit in die Liste aufzunehmen.
- Erich Ohser (1903–1944) – Man kennt ihn vor allem unter seinem Pseudonym e. o. plauen, mit dem er seine Vater-und-Sohn-Comicstrips unterzeichnete. Er karrikierte für den Vorwärts Hitler und Goebbels. Letztendlich wurde er ein Opfer der Faschisten.
- Igor Strawinsky (1882–1971) – Vom Impressionismus bis zur Neuen Musik, von Russland bis New York City, von Familienmensch bis Liebhaber der Coco Chanel.
- Heinrich Lübke (1894–1972) – Er war von 1959 bis 1969 der zweite Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland. Man hat sich gern über ihn lustig gemacht; seine Versprecher und sein schlechtes Englisch. Aber das schlechte Englisch war angedichtet und die Versprecher erste Anzeichen einer schweren Erkrankung.
- Isaac Asimov (1920–1992) – Ich habe noch immer nichts von ihm gelesen. Natürlich kenne ich seine drei Gesetze der Robotik. Und er war Mitglied bei Mensa. Das rechtfertigt doch scho eine Erwähnung.
- Louis Henri Maxence Bertrand Rainier Grimaldi (1923–2005) – Als Rainier III. war er Fürst von Monaco. Das ist heute eher etwas für goldene Blätter. Besonders, da er Grace Kelly ehelichte und das Zirkusfestival von Monte Carlo gründete.
Links
https://www.cricoteka.pl/pl/en/ – Centre for the Documentation of the Work of T. K.
http://kantorfoundation.pl/en/ – Tadeusz Kantor Foundation
http://alephino.documentaarchiv.de/ – Documenta-Archiv