Heute ist der 125. Geburtstag von Edith Stein. Sie wurde am 12. Oktober 1891 in Breslau als jüngstes von elf Kindern in eine jüdische Kaufmannsfamilie hinein geboren. Breslau gehört ja in den Kreis meiner Lieblingsstädte. Ihr Geburtshaus habe ich vor zehn Jahren bei meinem ersten Aufenthalt besucht. Doch zurück zur Hauptperson meines Blogeintrags.
Edith Stein studierte Psychologie, Philosophie, Geschichte und Germanistik an den bekannten Universitäten: Breslau, Göttingen und Freiburg im Breisgau. Unter ihrem Doktorvater Edmund Husserl promovierte sie Zum Problem der Einfühlung. Eine Habilitation wurde ihr trotz hervorragender Leistungen wiederholt verwehrt. Das mag am frauenfeindlichen Klima gelegen haben oder am schwelenden Antisemitismus.
1922 ließ sich Stein taufen. Ab 1932 arbeitete sie am Institut für wissenschaftliche Pädagogik in Münster, aus dem sie aber durch Druck des Naziregimes gedrängt wurde. Im Herbst 1933 trat sie in den Orden der Karmelitinnen ein. 1938 wechselte sie in den Karmel im niederländischen Echt. Dort wurde sie am 2. August 1942 von den Nazis gefangen genommen und schließlich eine Woche später in den Gaskammern von Auschwitz-Birkenau ermordet.
Ein Ausspruch von ihr ist bereits zu einem geflügelten Wort geworden, vielleicht weil es sich so gut eignet, um Atheisten zu ärgern:
Wer die Wahrheit sucht, der sucht Gott,
ob es ihm klar ist oder nicht.
Papst Johannes Paul II. sprach Edith Stein 1987 selig und 1998 heilig. Sie ist eine der sechs Patrone des Kontinents Europas. Die anderen sind Benedikt, Kyrill, Methodius, Katharina von Siena und Birgitta von Schweden. Es gab durchaus Kritik an ihrer Kanonisierung. In ihrem Testament von 1939 steht eine Formulierung, die manchen aufstößt: Ich bitte den Herrn, daß Er mein Leben und Sterben annehmen möchte zu seiner Ehre und Verherrlichung […] zur Sühne für den Unglauben des jüdischen Volkes und damit der Herr von den Seinen aufgenommen werde […]. Ich bin mir sicher, dass dies dem inneren Eifer einer Konvertitin zuzuschreiben ist. Edith Stein wird damit nicht vom Opfer zum Täter.
Erst fünf Jahre nach ihrer Heiligsprechung veröffentlichte der Vatikan einen Brief, den Edith Stein 1933 – fünf Jahre vor den Novemberpogromen – an Papst Pius XI. richtete. Ich möchte ihn hier im Wortlaut wieder geben:
Heiliger Vater!
Als ein Kind des jüdischen Volkes, das durch Gottes Gnade seit elf Jahren ein Kind der katholischen Kirche ist, wage ich es, vor dem Vater der Christenheit auszusprechen, was Millionen von Deutschen bedrückt.
Seit Wochen sehen wir in Deutschland Taten geschehen, die jeder Gerechtigkeit und Menschlichkeit – von Nächstenliebe gar nicht zu reden – Hohn sprechen. Jahre hindurch haben die nationalsozialistischen Führer den Judenhass gepredigt. Nachdem sie jetzt die Regierungsgewalt in ihre Hände gebracht und ihre Anhängerschaft – darunter nachweislich verbrecherische Elemente – bewaffnet hatten, ist diese Saat des Hasses aufgegangen. Dass Ausschreitungen vorgekommen sind, wurde noch vor kurzem von der Regierung zugegeben. In welchem Umfang, davon können wir uns kein Bild machen, weil die öffentliche Meinung geknebelt ist. Aber nach dem zu urteilen, was mir durch persönliche Beziehungen bekannt geworden ist, handelt es sich keineswegs um vereinzelte Ausnahmefälle. Unter dem Druck der Auslandsstimmen ist die Regierung zu „milderen“ Methoden übergegangen. Sie hat die Parole ausgegeben, es solle „keinem Juden ein Haar gekrümmt werden“. Aber sie treibt durch ihre Boykotterklärung – dadurch, dass sie den Menschen wirtschaftliche Existenz, bürgerliche Ehre und ihr Vaterland nimmt – viele zur Verzweiflung: es sind mir in der letzten Woche durch private Nachrichten 5 Fälle von Selbstmord infolge dieser Anfeindungen bekannt geworden. Ich bin überzeugt, dass es sich um eine allgemeine Erscheinung handelt, die noch viele Opfer fordern wird. Man mag bedauern, dass die Unglücklichen nicht mehr inneren Halt haben, um ihr Schicksal zu tragen. Aber die Verantwortung fällt doch zum großen Teil auf die, die sie so weit brachten. Und sie fällt auch auf die, die dazu schweigen.
Alles, was geschehen ist und noch täglich geschieht, geht von einer Regierung aus, die sich „christlich“ nennt. Seit Wochen warten und hoffen nicht nur die Juden, sondern Tausende treuer Katholiken in Deutschland – und ich denke, in der ganzen Welt – darauf, dass die Kirche Christi ihre Stimme erhebe, um diesem Missbrauch des Namens Christi Einhalt zu tun. Ist nicht diese Vergötzung der Rasse und der Staatsgewalt, die täglich durch Rundfunk den Massen eingehämmert wird, eine offene Häresie? Ist nicht der Vernichtungskampf gegen das jüdische Blut eine Schmähung der allerheiligsten Menschheit unseres Erlösers, der allerseligsten Jungfrau und der Apostel? Steht nicht dies alles im äußersten Gegensatz zum Verhalten unseres Herrn und Heilands, der noch am Kreuz für seine Verfolger betete? Und ist es nicht ein schwarzer Flecken in der Chronik dieses Heiligen Jahres, das ein Jahr des Friedens und der Versöhnung werden sollte?
Wir alle, die wir treue Kinder der Kirche sind und die Verhältnisse in Deutschland mit offenen Augen betrachten, fürchten das Schlimmste für das Ansehen der Kirche, wenn das Schweigen noch länger anhält. Wir sind der Überzeugung, dass dieses Schweigen nicht imstande sein wird, auf die Dauer den Frieden mit der gegenwärtigen deutschen Regierung zu erkaufen. Der Kampf gegen den Katholizismus wird vorläufig noch in der Stille und in weniger brutalen Formen geführt wie gegen das Judentum, aber nicht weniger systematisch. Es wird nicht mehr lange dauern, dann wird in Deutschland kein Katholik mehr ein Amt haben, wenn er sich nicht dem neuen Kurs bedingungslos verschreibt.
Zu Füssen Eurer Heiligkeit, um den Apostolischen Segen bittend
Dr. Editha Stein
Dozentin am Deutschen Institut für wissenschaftliche Pädagogik
Münster i.W. Collegium Marianum
aus: Edith Stein Jahrbuch 2004, Internationales Edith Stein Institut Würzburg
http://www.karmelocd.de/angebote/literatur-und-publikationen/edith-stein-jahrbuch.html