Heute habe ich nach nur drei Lesetagen (und das ist für mich als extremer Langsamleser ein Rekord) Das Ende von Eddy endgültig aus den Händen gelegt. Und um es gleich vorab kurz zu sagen: Ich bin begeistert!
Im Dezember 2008 wurde der Generalversammlung der Vereinten Nationen auf Initiative Frankreichs und der Niederlande die Erklärung über die sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität verlesen. 67 der 192 Mitgliedsstaaten unterzeichneten sie, darunter auch die gesamte EU. Die erforderliche Mehrheit wurde jedoch verfehlt. Von Syrien gab es noch am gleichen Tag eine Gegenerklärung, welche von 57 vorwiegend islamischen Staaten unterstützt wurde.
Wir, die westliche Welt, wähnen uns schon die moralischen Sieger in Fragen der Menschenrechte. Wir verachten die in Russland Regierenden für ihre in neue Gesetze geronnene Homophobie. Doch oft erinnert mich die Aufregung an das Jesuswort in der Bergpredigt von Splittern und Balken.
Sind wir eine Tolerante Gesellschaft, weil wir im Fernsehen Abendkleid und Vollbart auch gemeinsam ertragen? Wie steht es mit dem Wechsel von Haute Couture zu Prêt-à-porter? Trägt das dünne Eis der Toleranz hier noch?
Seit 2006 gilt in Deutschland das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz. Doch Pegida und Co. zeigen uns, was auch in unserer Gesellschaft noch alles wimmelt und wuchert. Das Feuilleton darf weiter überrascht sein. In den Unterschichten wird der Diskurs nicht ganz so feingliedrig geführt, die Sprache nicht ganz so gewählt verwendet. Und ganz gleich, wie viele Zwischenformen dem Anmeldeformular von Facebook abgerungen werden, wer sich nicht wie ein ganzer Kerl benimmt, ist eben eine Tussi.
Der 1992 als Eddy Bellegueule geborene Autor schildert uns auf knappen 200 Seiten das noch junge Leben eines Menschen, der den Weg aus dieser Schicht geschafft hat. Doch wie gefährdet ist sein Weg! – Auch in unserer westlichen Welt. Was kommt alles nicht in diesem Roman vor? Welche Hilfs- und Förderprogramme haben ihn nicht erreicht? Und wie viele Menschen gibt es, deren Geschichte wir nicht kennen, weil sie nie die Möglichkeit erhielten, sie zu erzählen?
Eddy Bellegueule trennt sich von seiner Herkunft ab. 2013 ändert er seinen Namen zu Édouard Louis. Nun gehört er zu den Kreisen, die man mit der Weltstadt Paris verbindet. Doch bleibt ihm die Erinnerung, die ihn auch hier nun nicht vollständig dazugehören lässt. Er selbst sagt in einem Interview, die Pariser Verleger hätten keine Vorstellung von den Verhältnissen in der nordfranzösischen Provinz. Ein Verleger habe sein Manuskript mit Verweis auf die Unglaubwürdigkeit der Geschichte abgelehnt.
Der Spiegel hält zu den Etablierten, wenn man in einer Rezension von Franziska Wolffheim lesen kann, dass man als Leser „tatsächlich mitunter Schwierigkeiten [habe], sich auf diesen etwas holzschnittartig wirkenden Kosmos einzulassen – mag er auch authentisch sein.“
Der franko-kanadische Regisseur und Schauspieler Xavier Dolan hingegen lobt sogar dezidiert die Authentizität der Dialoge. Le Figaro schreibt schließlich: „Es erscheint so selten wie der Halley’sche Komet an unserem Himmel, ein so ungewöhnliches Buch, dass seine schiere Existenz schon einem Wunder gleicht, welches zu beschreiben die Worte fehlen.“
Ein Fachbuch hatte er bereits 2013 im Rahmen seines Soziologiestudiums herausgebracht, über Pierre Bourdieu, und eines 2014 über Michel Foucault. Man könnte ein wenig spotten über den damals noch 21-jährigen Studenten, dessen erstes Belletristisches Werk eine Autobiografie ist. Doch es geht hier nicht um die Aufzählung seiner vermeintlichen Meriten. Es ist ein bedeutendes Überlebenszeugnis. Der Roman wäre schon als reine Schilderung wichtig. Hinzu kommt die Sprache, die viel gelobt, auch in der deutschen Übersetzung überzeugt.
Bereits im Januar 2014 wurde En finir avec Eddy Bellegueule von Édouard Louis in Frankreich veröffentlich. Ins Deutsche übersetzt von Hinrich Schmidt-Henkel ist Das Ende von Eddy bei S. Fischer am 19. Februar 2015 erschienen.
Links
edouardlouis.com (auf Französisch)
fischerverlage.de/buch/das_ende_von_eddy
spiegel.de/kultur/literatur/das-ende-von-eddy