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Erster Weihnachtsfeiertag

Weihnachen verbinden wir heute mit Familienfeiern. Wir fahren zu unseren Eltern. Wir besinnen uns auf die Heimat. Doch so eigentlich ist Weihnachten das Fest der Heimatlosen und der Migration.

Jesus wird auf einer Reise geboren. Seine Eltern haben nicht einmal einen ordentlichen Raum in der Herberge gefunden. Und kaum ist er auf der Welt, trachtet man ihm nach dem Leben. Seine Familie muss nach Ägypten fliehen.

DSC_5795 Wien

Im Dezember 2015 entdeckte ich in der Wiener Ruprechtskirche die abgebildete Krippe. Sie stammt von der Hamburger Künstlerin Julia Oppermann, die seit 1999 an der Universität für industrielle und künstlerische Gestaltung in Linz unterrichtet.

Ihrer fragilen Installation hatte Oppermann ein Wort aus der Offenbarung beigestellt:

Seht das Zelt Gottes unter den Menschen!
Er wird in ihrer Mitte wohnen,
und sie werden sein Volk sein.

Offenbarung 21, 3

Die Ruprechtskirche ist die älteste Kirche Wiens. Sie ist allgemein schlicht, aber mit einigen sehr schönen Kunstwerken ausgestattet, u.a. modernen, abstrakten Fenstern von Lydia Roppolt.

Link
https://www.ruprechtskirche.at/

Von Katzen und Fischen

Kritische Würdigung einer fatalen Bemerkung

Nun ist es schon einen Monat her, dass der Ex-Bundestagsabgeordnete und Kreisvorsitzende der CDU Leipzig Dr. Thomas Feist am 1. März 2020 zur zweiten Runde der Leipziger Oberbürgermeisterwahl im Wahlstudio des Leipzig Fernsehen interviewt wurde. Nun, ich arbeite nicht für eine Tageszeitung. Ich darf mir die Zeit nehmen, über solche Ereignisse ein wenig länger nachzudenken. Und während des Corona-Lockdowns umso mehr.

Im nicht gerade inhaltsvollen Wahlkampf Sebastian Gemkows las man immer wieder den Slogan „Ein Leipziger für Leipzig“, der suggerieren sollte, dass der amtierende und nun auch zum dritten Mal gewählte Oberbürgermeister Burkhard Jung kein richtiger Leipziger sei. Danach gefragt, antwortete Dr. Feist mit dem unseligen Satz: „Es gibt den schönen Spruch: Wenn eine Katze im Fischladen Junge bekommt, sind das dann Fische?“

Weiter führte er aus: „Also, insofern denke ich mal, dass jemand, der hier aufgewachsen ist, der die Geschichte der Stadt hautnah miterlebt hat, hat nochmal ein anderes Verhältnis zur Stadt, als jemand, der erst seit 29 Jahren hier lebt, auch wenn der mittlerweile Leipziger sein mag.“

Nachdem der Moderator auf sein ganz persönliches Leipziger-Sein nach einem Zuzug vor zehn Jahren verwiesen hatte, klärte uns Feist weiter auf: „Die Geschichte Leipzigs fängt ja nicht vor zehn oder vor 29 Jahren an. Sondern die Geschichte Leipzigs fängt ja vorher an.“

Eigentlich sollte ich mich gar nicht sachlich auf dieses Argument einlassen. Um aber zu zeigen, wie absurd es tatsächlich ist, möchte ich die Lebensdaten beider Kandidaten mal nebeneinanderstellen.

Burkhard Jung wurde 1958 in Siegen geboren, absolvierte 1977 sein Abitur und studierte in Münster Germanistik und Evangelische Theologie. 1991 kam er 33-jährig nach Leipzig, um als Schulleiter das evangelische Schulzentrum aufzubauen. 2000 trat Jung, mittlerweile 42 Jahre alt, in die SPD ein. Er ist also länger Leipziger als eingeschriebener Sozialdemokrat. Bereits 1999 wurde Jung Beigeordneter der Stadt Leipzig für Jugend, Schule und Sport (seit April 2001 Beigeordneter für Jugend, Soziales, Gesundheit und Schule). Nachdem Wolfgang Tiefensee im November 2005 seinen Posten als Stadtoberhaupt zur Verfügung stellte, um selbst Bundesverkehrsminister zu werden, wurde Burkhard Jung, gerade noch 47 Jahre alt, zum neuen Leipziger Oberbürgermeister gewählt. Seit 2019 ist Jung Präsident des Deutschen Städtetages. Burkhard Jung ist nun 62 Jahre alt. 29 Jahre davon hat er in Leipzig gelebt. Und es sind die tätigen Jahre.

Sebastian Gemkow wurde 1978 in Leipzig geboren. Zum Fall der Mauer war Gemkow elf Jahre alt, ein Kind. Sein Abitur legte er 1997 an der Neuen Nikolaischule in Stötteritz ab, die 2012 ihr 500-jähriges Bestehen feierte, tatsächlich aber eine Neugründung bzw. Zusammenlegung von 1995 ist. Er trat 1998 in die CDU ein, studierte Rechtswissenschaften in Leipzig, Hamburg und Berlin und ließ sich 2006 als Rechtsanwalt in Leipzig nieder. 2009 zog er in den Sächsischen Landtag ein, mit einem Rekordergebnis. Er errang mit 28,5 % den damals niedrigsten Erststimmenanteil aller Wahlkreiskandidaten, die letztendlich das Mandat erhalten hatten. Der Wahlkreis Leipzig 2 ist ein hart umkämpfter und seit zwei Legislaturen in der Hand der Linken. 2014 gewann er knapp den Wahlkreis Leipzig 4 und wurde Sächsischer Staatsminister der Justiz. 2019 schließlich ließ er sich für den Wahlkreis Nordsachsen 2 aufstellen und wurde Sächsischer Staatsminister für Wissenschaft. Er ist mit einer Estin verheiratet und seit 2014 Honorarkonsul der Republik Estland. Sebastian Gemkow wird im Sommer 42 Jahre.

Über beide Kandidaten der OBM-Wahl 2020 in Leipzig lässt sich übereinstimmend sagen, dass sie augenscheinlich Vollblutpolitiker sind, die sich nicht vor Verantwortung scheuen. Man kann auch beiden nicht vorwerfen, sie wären nur Politiker geworden, weil sie nichts Anständiges gelernt hätten. Beide sind gut vernetzt. Beide sind in einem regulären arbeitsfähigen Alter. Beide sind verheiratet und haben Kinder. Die letzten zwei Punkte sind eigentlich nicht entscheidend für das Amt; aber es wird mit Blick auf das zur Diskussion stehende Zitat noch wichtig sein.

Was ist denn nun – abgesehen von Parteizugehörigkeit, Persönlichkeit und daraus resultierender persönlicher Sympathie – der Unterschied zwischen den beiden? Die Mutter des einen schob ihren Sohn im Kinderwagen durch Siegen, die Mutter des anderen tat dies in Leipzig. 1996 wurde Sebastian Gemkow volljährig. Da lebte Burkhard Jung bereits fünf Jahre in Leipzig. Der einzige Unterschied im Grad an Leipziger-Sein zwischen Jung und Gemkow, sind die ersten 13 Jahre im Leben des Herausforderers. Oh, da hätte sich einer aber zwei Staatsexamen sparen können, hätte er damals schon gewusst, dass ihn seine Kindheit einst entscheidend qualifizieren werde!

Kommen wir zurück zum Abend des 1. März 2020 und dem fatalen Satz des Dr. Feist: „Es gibt den schönen Spruch: Wenn eine Katze im Fischladen Junge bekommt, sind das dann Fische?“

Ganz offensichtlich setzt er sowohl Katzen als auch Fische mit Menschen gleich; mit Menschen unterschiedlicher Herkunft. Nun wollte Dr. Feist sicherlich Herrn Jung etwas Scherzhaft als Zugezogenen, als Unhiesigen ausgrenzen vom wohlig-warmen Leipziger Stammtisch, an dem man nur Platz nehmen darf, wenn man die gesamte Leipziger Geschichte selbst miterlebt hat, von urkundlicher Ersterwähnung über Verleihung des Messeprivilegs bis zur Ausgründung des Volksgerichtshofs. Tatsächlich zielt der Satz aber auf die Kinder der zugezogenen Katze. Diese werden laut Dr. Feist auch niemals in Leipzig heimisch werden können, da ihr Vater ein Zugezogener ist. Wow! Das ist starker Tobak.

Deutsche Staatsbürger mit einem Migrationshintergrund mögen nun milde lächeln. Das kennen sie aus ihrem Alltag. Beispielsweise die Kinder einer Schwarzen, welche bereits die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt, sind von ihrer Geburt an natürlich auch Deutsche. Aber sie werden sich genauso natürlich mit ihrer Hautfarbe von der Mehrheitsgesellschaft unterscheiden, sodass sie wahrscheinlich ihr gesamtes Leben lang gefragt werden, wo sie denn wohl eigentlich herkämen. Manchmal mag man es erklären wollen. Meistens wird es nerven. Der Fragende mag auf das äußerliche Merkmal der Hautfarbe verweisen. Und die Statistik gibt ihm erstmal recht: Die Mehrheit der Deutschen ist weiß. Die Mehrheit der Schwarzen ist nicht deutsch. Eine höfliche Frage nach der Herkunft scheint berechtigt.

Innerhalb Deutschlands soll es keinen relevanten Unterschied nach regionaler Herkunft geben. Deshalb wurde – neben dem Diskriminierungsverbot in Artikel 3, Satz 3 – die Freizügigkeit mit Artikel 11 als ein Grundrecht aller Deutschen unveränderlich verankert. Und für die EU ist das in Artikel 45 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union geklärt. Weiterhin behandelt dies auch der Artikel 13 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948, ohne hier auf staatsrechtliche Details einzugehen.

Was ist das nur für ein altvorderes Denken, wenn man nun jemanden, der seine Freizügigkeit nutzt, vor Ort als einen Bürger zweiter Klasse behandelt, weil er nicht dort geboren wurde? Schränkt das die Freizügigkeit nicht ein, weil man seinen Status als gleichberechtigter Bürger verliert? Ist denn nun jeder, der aus seinem Heimatdorf aufbricht, sei es nur, um das Inzesttabu zu wahren, ein „vaterlandsloser Geselle“? Ist man innerhalb Deutschlands nach einmaligem Umzug bis zu seinem Lebensende der Neue oder der Fremde? Und soll sich das sogar, wie das Bild von der Katze und den Fischen unterstellt, auf die Kinder des Neuen, die Kinder des Fremden übertragen?

Seit März 2019 ist Dr. Feist der sächsische Beauftragte für das jüdische Leben. Damit ist er der offizielle Ansprechpartner für jüdische Gemeinden im Freistaat. Außerdem berät er die Landesregierung zu Fragen der Pflege des historischen Erbes und die Erinnerung an den Holocaust.

Nachdem die Heidenchristen in der frühen Kirche das Ruder übernommen hatten, galten der Mehrheitsbevölkerung des Römischen Reiches und später Europas die Juden als ein störender Fremdkörper. Aus der Spätantike sind nicht nur die Zerstörungen von Synagogen, sondern auch erzwungene Massentaufen überliefert. Nun sind diese Taten natürlich nicht zu rechtfertigen, aber man kann doch sehen, dass sie auf eine – erzwungene – Integration der jüdischen Bevölkerung abzielten.

Das änderte sich über das Mittelalter und die frühe Neuzeit in Schüben. Im Vormärz erkannte Heinrich Heine im Taufzettel das Entre Billet zur Europäischen Kultur, sieht sich aber sein ganzes Leben vom nie abzuwaschenden Juden verfolgt. Er schwärmt, dass ihm das Deutsche das sei, was dem Fisch das Wasser ist, und dass er aus diesem Lebenselement nicht herauskönne. Gleichzeitig gesteht er, alles Deutsche wirke auf ihn wie ein Brechpulver.

Konkret wurde Heine in Göttingen die Mitgliedschaft in einer Burschenschaft verweigert, da Juden, als solche, kein Vaterland hätten und für das deutsche Vaterland kein Interesse haben könnten. Trotz Taufe 1825 wird Heine nicht in Hamburg als Rechtsanwalt zugelassen, nicht in München zum Professor berufen und – erneut in Hamburg – nicht zum Ratssyndikus ernannt. Literarisch sah er sich von August Graf von Platen verächtlich gemacht und als knoblauchfressender Jude diffamiert, während dieser seiner Homosexualität wegen lieber im italienischen Exil lebte.

Heinrich Heine war schon 23 Jahre tot, als schließlich Wilhelm Marr 1879 mit seiner Schrift Der Sieg des Judenthums über das Germanenthum den Begriff des Antisemitismus prägte. Im Trend der Säkularisierung sowohl unter vormals christlichen als auch jüdischen Gruppen wäre eine Taufe kein Zeichen der Anpassung und Integration gewesen. Also zielte Marr auf die absurde Idee einer jüdischen Rasse ab. Wie es von dort aus weiterging, steht in unseren Geschichtsbüchern. In den Nürnberger Rassengesetzen von 1935 legten die Nationalsozialisten genau fest, wer als ein Jude zu gelten hatte oder als Deutschblütiger. Mischlingen war die Ehe nur unter bestimmten Voraussetzungen gestattet.

Die Deutschen Christen erklärten 1932 vorauseilend, dass sie in der Judenmission eine schwere Gefahr für ihr Volkstum sähen. Sie sei das Eingangstor fremden Blutes in ihren Volkskörper. Sie lehnten die Judenmission in Deutschland ab, solange die Juden das Staatsbürgerrecht besäßen und damit die Gefahr der Rassenverschleierung und Bastardierung bestünde.

In Leipzig stolpert man heute in den Straßen über mehr als 500 kleine Gedenksteine. Jeder einzelne führt uns vor Augen, wohin Ausgrenzung und Hass in letzter Konsequenz führen.

Der Satz, den Dr. Feist am 1. März 2020 von sich gab, hat eine Reihe von Reaktionen ausgelöst. Henning Homann, der Generalsekretär der SPD Sachsen, antwortete am folgenden Tag, dass Leipzigern ihr Leipziger-Sein abzusprechen, nicht nur unwürdig sei; es zeige auch, wie wenig er eine wachsende, internationale Stadt verstanden habe, obwohl er dort geboren sei. Solche Sprüche taugten vielleicht für den Stammtisch, aber selbst im Fischladen und erst recht im Rathaus sorgten sie nur für Kopfschütteln.

Auf Twitter, wo Dr. Feist als „Freiberuflicher Netzwerker, Beauftragter für Jüdisches Leben in Sachsen.“ firmiert, legte er am 2. März mit zwei weiteren Tweets nach. Erst verwies er auf ein YouTube-Video; ein Ausschnitt aus einem Programm von Eberhard Cohrs und Horst Feuerstein aus dem Jahre 1964 mit der Bemerkung: „Katzen und Fische. Kennt ihr nicht, ihr Kulturbanausen?“ Und danach schloss er für sich die Affäre ab mit dem Tweet: „Ein Leipziger für Leipzig“ ist etwas anderes als „Deutschland den Deutschen“. Wer beides gleichsetzt unterstellt böswillig etwas Falsches. Scheint aber leider gerade in Mode zu sein. #lasttweet [Kommasetzung wie im Original]

Über den als Beleg herangezogenen Sketch von Eberhard Cohrs wird noch zu sprechen sein. Interessant ist aber auch, wer dieses Video bei YouTube bereithält. Das Konto trägt den Benutzernamen Saebelzahnbiber. Der Sketch wurde bereits vor neun Jahren von ihm hochgeladen. Im Sommer 2015 hat der Nutzer das letzte Mal Videos auf YouTube gestellt. Die Titel der jüngsten drei Videos sind: „Mohammedaner tötet Lebensgefährtin mit Messer“, „Bosnischer Moslem tötet 3 Menschen im Ramadan in Graz“ und „Arbeitslose Deutsche reparieren in Bamberg Fahrräder für Fachkräfte…“ [gemeint sind Asylbewerber]. Nachdem sich Dr. Feist also dem Vorwurf der Fremdenfeindlichkeit, des Rassismus und der Nähe zur Blut-und-Boden-Mentalität ausgesetzt sah, wählte er zur Verteidigung den Saebelzahnbiber als Gewährsmann. Nun, es gab wohl schon glücklichere Entscheidungen.

Man muss natürlich vorsichtig sein. Vor der Kamera soll ein Politiker schnell und pointiert liefern. Und der Zuschauer zuhause kann später genau analysieren, warum er dieses Mal entrüstet ist. Und in dem schließlich aufkommenden Shitstorm wird man ohnehin früher oder später mit Hitler verglichen. Der Rechtsanwalt Mike Godwin hat dies 1990 in einem Godwins Gesetz genannten Bonmot zusammengefasst: „Mit zunehmender Länge einer Online-Diskussion nähert sich die Wahrscheinlichkeit für einen Vergleich mit den Nazis oder Hitler dem Wert Eins an.“

Aber die menschenverachtende Ideologie der Nationalsozialisten ist eben der Gipfel eines Denkens, das aus Herkunft von Menschen Qualitätsabstufungen – und damit Wertigkeiten des Lebens – aufstellt. Vielleicht ist sie sogar ihre logische Konsequenz. Und deshalb müssen wir auch so entschieden ihren Anfängen wehren.

Außerdem hat sich – quasi als Gegenbewegung zu Godwins Gesetz – etabliert, dass man seine Rede mit einem bestimmten Vorsatz beginnt: „Ich bin kein Rassist, aber …“ erlaubt einem heutzutage, jeden rassistischen Scheiß in die Welt zu posaunen. Eine Deutung in kritischer Richtung hat der Redner zuvor einfach selbst ausgeschlossen.

Doch woher kommt die Redewendung von der Katze im Fischladen überhaupt? Und was bedeutet sie ursprünglich? Sie ist, um das Offensichtliche doch einmal aufzuschreiben, nicht geprägt worden, um Menschen nach ihrem Geburtsort zu unterscheiden.

Die Katze ist als Kulturfolger dem Menschen lang bekannt und hilft diesem, seine Wohn- und Werkstatt von Ungeziefer freizuhalten. Dafür muss der Mensch sich um die Ernährung der Katze und ihres Nachwuchses in kargeren Zeiten kümmern. Von den Ägyptern wurden Katzen als Götter verehrt. Eine Unzahl von Facebook-Posts lässt erahnen, dass sich an diesem Status über die Jahrtausende nur wenig geändert hat.

Eine gute Idee ist der Blick in das Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten, welches der Volkskundler und Erzählforscher Lutz Röhrich 1973 herausgegeben hat. Katzen sind in den deutschen Redewendungen allgemein Sympathieträger. Aber ein Mensch möchte trotzdem nicht gern wie eine Katze behandelt werden und vom Boden essen müssen, sprich vom Katzentisch. Und manchmal tritt die Katze in Konkurrenz zum Menschen: „Das soll mir keine Katze fressen“ bedeutet, den Happen hebe ich mir für später auf. Gibt man den Happen aber auf, ist er für die Katz. Auf die Ausrede „die Katze hat’s gefressen“ lautet eine gewitzte Antwort: „Ja, die mit zwei Beinen.“ Wenn eine menschliche Naschkatze krank wird, bemerkt die Mutter: „Die Katze mag die Fische nicht.“

Wer den Bock zum Gärtner macht, hat der Katze den Hering anvertraut. Das sollte man nicht tun, niemals, oder doch erst dann, wenn die Katze Eier legt. Denn eine Katze lässt das Mausen nicht.

Der Fisch, besonders der Hering, steht in Redensarten öfters als Bild des Geringwertigen und Kleinen. Ein dürrer oder intellektuell substanzloser Mensch ist ein schmaler Hering. Zu Ostern, am Ende der Fastenzeit, sieht man aus wie ein ausgeweideter Hering. Wessen Erfolgsaussichten gering sind, wird hier keinen Hering braten.

Heringe sind eine weitverbreitete Fastenspeise und allgemein Hauptnahrungsmittel in vielen Klöstern. Abraham a Sancta Clara lässt im 17. Jahrhundert in seinem „Judas“ Menschen gleich Heringen aufeinander liegen. Das ist bis heute nicht nur als bildhafte Sprache mit Ölsardinen oder Kieler Sprotten üblich. Otto von Bismarck, der den Hering so sehr liebte, dass man später einen nach ihm benannte, war sich sicher: „Wenn Heringe genau so teuer wären wie Kaviar, würden ihn die Leute weitaus mehr schätzen.“

Doch schon allein der Geruch von Fisch lässt einen nichts Gutes erahnen. Daher antwortete Martin Luther auf Ausreden, Lügen oder allgemein verdächtige Sachen: „Bleib daheim mit deinen faulen Fischen!“ Wenn ich nun die Wahl hätte, durch welches Tier ich in einer Redewendung dargestellt werden wollte, ich zöge deutlich die Katze dem Fisch vor.

Lutz Röhrich schreibt in seinem Lexikon – leider ohne einen Verweis auf Region oder Zeitalter: Auf etwas Unmögliches weist die Wendung „Die Katze im Fischladen bringt auch keine Heringe zur Welt“, d.h. das ist zu viel verlangt.

Man könnte es so verstehen, dass ein Fischhändler einen Lieferanten seiner Waren braucht und eine Katze, um das Ungeziefer fernzuhalten. Aber beides von einer Katze zu verlangen, ist eben zu viel. So könnte man es dann auch auf Menschen übertragen: Wenn du mit einem Freund über ernste Dinge sprichst, beschwere dich nicht, dass du nicht mit ihm lachen kannst. So wird ein Schuh daraus. Eine englische Entsprechung wäre vielleicht: You can’t have a cake and eat it, too (Man kann nicht den Kuchen behalten und gleichzeitig aufessen).

Nun beruft sich der Kulturwissenschaftler Dr. Feist aber auf diesen Sketch aus dem Jahre 1964 mit Eberhard Cohrs und Horst Feuerstein. In der kleinen Szene geht es zu Beginn um ein Formular, das die von Cohrs gespielt Figur angeleitet von seinem Antagonisten auszufüllen hat. In Dresden sei er geboren, sagt Cohrs und spielt dabei auch sich selbst. Darauf meint Feuersteins Charakter, er könne ja schreiben, dass er ein Sachse sei. Das verneint Cohrs nun. Da seine Eltern aus Köln stammten und Rheinländer seien, müsse er ja auch ein Rheinländer sein und kein Sachse. Der Streit geht noch einige Zeit hin und her, bis zu der Pointe aus dem Munde Cohrs: Mensch, wenn ’ne Katze im Fischgeschäft Junge kriegt, sind’s doch keine Heringe!

Dies ist nach meinen Recherchen das erste Mal, dass diese sprichwörtliche Redensart eins zu eins auf einen Menschen angewendet wurde. Warum ist nun dieser Sketch lustig, der Ausspruch des Dr. Feist aber immer noch ein Skandal?

Zunächst gibt es selbstverständlich einen grundlegenden Unterschied zwischen einem Künstler auf der Bühne und einem Politiker im Mediengespräch. Weiterhin wendet Cohrs diesen Satz auf sich selber an, Dr. Feist aber auf einen anderen. Der dritte und entscheidende Punkt ist die Sprache. Cohrs spricht diesen Satz in tiefstem Sächsisch und widerlegt seine Aussage damit unmittelbar. Es mag sein, dass seine Eltern Rheinländer sind. Wer aber in Dresden geboren und aufgewachsen ist, zudem ein solches Sächsisch spricht, der ist definitiv kein Rheinländer. Das von sich immer noch zu behaupten, ist das Absurde, was den Sketch so witzig sein lässt. Zum Zitat eignet sich der Satz aber nicht. Denn seine direkte, semantische Aussage ist nicht, was Eberhard Cohrs uns tatsächlich damit sagen wollte.

Eberhard Cohrs ist im Übrigen auch eine schillernde Persönlichkeit. Sein Vater kam aus Uelzen und seine Mutter aus dem Vogtland. Er selbst wurde 1921 in Dresden geboren. Im Dritten Reich war er Mitglied der Waffen-SS und gehörte zur Wachmannschaft des KZ Sachsenhausen. Im November 1945 absolvierte er seine Komikerprüfung vor der Internationalen Artisten-Loge. 1977 kehrte er nach einem Gastspiel in der Bundesrepublik nicht in die DDR zurück. Im Westen hatte er trotz namhafter Unterstützung kein Fernsehglück, da das Publikum sein Sächsisch nicht verstand. Nach der Wende ging er in den Osten zurück und arbeitete unter anderem für den MDR. In die Schlagzeilen geriet er ein Jahr vor seinem Krebstod 1999, weil er im Rausch seine Frau mit sieben Schüssen lebensgefährlich verletzt hatte.

Doch zurück zur Redewendung von der Katze im Fischladen, die seit 1964 eine beachtliche Karriere im rechtsnationalen Milieu hingelegt hat. In einer Ausgabe des Spiegels von 1977 findet sich ein Interview mit Martin Webster, einem führenden Mitglied der britischen Nationalen Front. Er möchte Britanniens Farbige vertreiben, weil sie seiner Ansicht nach nicht auf seine Insel gehörten. Auch wer seit Generationen in England lebe, solle das Land wieder verlassen, wenn er nicht zum ethnischen Grundstock seiner angelsächsisch-keltischen Rasse gehöre. Der Artikel endet pointiert mit der Begründung Websters: Wenn eine Katze Junge in einer Fischkiste kriegt, werden die dadurch keine Fische.

Zum Terroranschlag eines 18-Jährigen mit deutscher und iranischer Staatsbürgerschaft am 22. Juli 2016 in München twitterte Lutz Bachmann am Tag darauf: Deutsch-Iraner? Was ist denn das? Wenn ne Katze im Fischladen Junge bekommt sind’s dann „Karthäuser-Heringe“ oder was?

Als Dr. phil. mag man Herrn Feist zutrauen, Hintergründe und Konnotationen angemessen zu würdigen. Vielleicht sieht er doch irgendwann ein, welch fatalen Fehler er mit seiner launigen Bemerkung über Katzen und Fische begangen hat.

Dr. Feist steht der sächsischen Landeskirche nah. Wenn diese auch recht problematische Strömungen aufweist, lässt dies doch vermuten, dass er ebenfalls der Botschaft Jesu nicht ganz fern ist. Mir fällt in diesem Zusammenhang eine im Markusevangelium überlieferte Geschichte ein. Maria, die Mutter Jesu, kommt gemeinsam mit seinen Brüdern zu dem Haus, in dem Jesus gerade weilt, und lassen ihn herauszitieren.

Und das Volk saß um ihn. Und sie sprachen zu ihm: Siehe, deine Mutter und deine Brüder draußen fragen nach dir. Und er antwortete ihnen und sprach: Wer ist meine Mutter und meine Brüder? Und er sah rings um sich auf die Jünger, die im Kreise saßen, und sprach: Siehe, das ist meine Mutter und meine Brüder! Denn wer Gottes Willen tut, der ist mein Bruder und meine Schwester und meine Mutter. (Markus 3, 32–35)

Mir hat diese Erzählung schon immer imponiert. Und im Zusammenhang mit dem Missionsbefehl sind alle Menschen Brüder und Schwestern im Herrn. In diesem Sinne sehe ich in Thomas Feist ein verirrtes Schaf, dem ich nur allen Mut zur Umkehr wünschen kann.

Manch einer mag es übertrieben finden, über einen hingeworfenen Satz so lange nachzudenken. Immerhin ist schon ein ganzer Monat vergangen. Und heute haben wir doch ganz andere Sorgen als die Worte eines ehemaligen Bundestagsabgeordneten. Doch darauf möchte ich mit einem weiteren Zitat aus der Umgebung der Bibel (den Apokryphen des Alten Testaments) antworten:

Du umzäunst dein Hab und Gut mit Dornen; warum machst du nicht vielmehr vor deinen Mund Tür und Riegel? Du wägst dein Silber und Gold, bevor du es aufbewahrst; warum wägst du nicht auch deine Worte auf der Goldwaage? Hüte dich, dass du nicht dadurch ausgleitest und hinfällst vor denen, die auf dich lauern. (Sirach 28, 28–30)

Unser (Frankfurter, Leipziger, Weimarer) Johann Wolfgang von Goethe hat einmal gesagt – und da mag ein indisches Sprichwort Pate gestanden haben –, dass Kinder von ihren Eltern sowohl Wurzeln als auch Flügel bekommen sollten. Das ist natürlich nicht botanisch oder medizinisch zu verstehen. Es meint wohl, dass wir unsere Herkunft und unsere Vergangenheit nicht verleugnen oder gar vergessen sollen und dabei aber auch den Mut nicht verlieren dürfen, aufzubrechen und etwas Neues zu wagen.

Es gehört nämlich zu den Wundern unserer Welt, dass ein Migrant etwas Neues werden kann (z.B. ein Leipziger, ein Sachse, ein Deutscher), ohne aufzuhören etwas anderes zu sein (z.B. ein Siegener oder ein syrischer oder afghanischer Flüchtling).

Mütter und Väter von Problemen und die Migration

Unser äußerst problematischer Innen- und Heimatminister Horst Seehofer hat sich am Mittwoch zu einem Satz verstiegen, der wohl in den Zitatenschatz der Zeitgeschichte eingehen wird. Es waren wenige anwesend bei der CSU-Tagung, in deren Verlauf er nach Angaben der Welt (siehe Video) gesagt haben soll, die Migration sei die Mutter aller Probleme. Man kann wohl von der Authentizität der Aussage ausgehen; schließlich gab es bis dato keine Dementi, sondern viel eher Erklärungen und Rechtfertigungen.

Wer die Verlautbarungen des Ministers schon über einen längeren Zeitraum verfolgt, dem mag sich das Bild eines langsam in die Senilität hinüber gleitenden Großvaters aufzwingen. Und Opa lässt man am besten unwidersprochen brabbeln. Sonst regt er sich noch zu sehr auf und das Familienfest wird durch das Rufen eines Notarztes ganz verdorben. Im Netz gibt es ein schönes Meme, das Angela Merkel mit Seehofer zeigt und Merkel sagen lässt: Deine Mutter ist die Mutter aller Probleme. Ich denke, eine ganze Reihe von Menschen würden diese Aussage unterschreiben. Tatsächlich sagte die Kanzlerin deutlich diplomatischer dazu, die Migrationsfrage stelle uns vor Herausforderungen, und dabei gebe es auch Probleme.

Nun ist es aber mit ein paar Deine-Mutter-Witzen nicht getan. Die Lage in Deutschland ist zu ernst, um es nur bei ein paar Memes über den politischen Gegner zu belassen. Man muss sich – wohl oder übel – mit den Sichtweisen des politischen Gegners auseinandersetzen und sie ordentlich, nachvollziehbar widerlegen.

Die Erkenntnisse des vorsokratischen Philosophen Heraklit von Ephesos (520–460 v.Chr.) sind nur fragmentarisch überliefert. Eine der bekanntesten Paraphrasen lautet: Der Krieg ist der Vater aller Dinge. Dieser Satz ist so kurz wie missverständlich. Manche hören in ihm einen Repräsentanten der Herrschenden darüber sinnieren, dass die wichtigsten Erfindungen in dem Bestreben gemacht wurden, einen uneinholbaren Vorteil gegenüber einem Kriegsgegner zu erlangen. So ist der Satz wohl aber nicht gemeint, wenn man ihn im Kontext weiterer Fragmente Heraklits betrachtet. Er ist wohl eher so zu verstehen, dass die Welt beständig zwischen Polen hin und her schwankt, zwischen Alt und Jung, Arm und Reich, Männlich und Weiblich, Heiß und Kalt. An den idealen Polen herrscht Stillstand. Und das, was wir Leben nennen, findet im Miteinander statt, in einem Aushandlungsprozess, den man vom Schreibtisch aus überspitzt Krieg nennen mag. Ein solcher Krieg also ist der Vater aller Dinge. Dieser Satz wurde eben vor Stalingrad geschrieben, auch vor Verdun oder Issos. Damit ist ein solcher Aushandlungsprozess als Vater aller Dinge aber nicht der zweite Elternteil zum Problem, sondern das sogenannte Problem bzw. unser Umgang damit der Beginn aller neuen Dinge.

Ulla Jelpke, die innenpolitische Sprecherin der Linken-Bundestagsfraktion, bleibt im sprachlichen Bild des Innenministers, wenn sie sagt, Seehofer sei der Vater aller Rassismusprobleme in Deutschland. Wichtiger stellt sie dann aber heraus, dass Migration ursächlich für Rassismus wäre, sei ein rechter Mythos, der auf unerträgliche Weise die Rollen von Tätern und Opfern verkehre. Wie kommen wir nun aber an die tatsächlichen Ursachen?

Der britische Autor Bruce Chatwin (1940–1989), der manchen Spät-Neu-Romantikern durch die Nutzung von Moleskine-Notizbüchern bekannt ist, widmet sich in einigen seiner Bücher (das bekannteste davon ist wohl Traumpfade/Songlines, 1987) dem Nomadentum. Stark vereinfacht gesprochen ist seine These, der Mensch sei zum Nomadentum geboren, seine Sesshaftwerdung sei der Sündenfall. Denn Besitzanhäufung, Mord aus Habgier, Erbschaftsstreitigkeiten – dies alles könne sich ein Nomade gar nicht leisten. Er nehme stets nur das Wichtigste mit, das, was er noch tragen könne. Seine Allgemeine Theorie des Nomadentums konnte Chatwin nicht mehr erarbeiten. Er zog uns Lebenden 1989 voraus.

Was bleibt ist die Verunsicherung, ob vielleicht nicht der Fremde vor unseren Toren ein Problem ist, sondern vielmehr, dass wir unser Tor verrammeln, Grund und Boden im Privaten wie staatlich sicher wähnen, obgleich wir alle auch nur für eine kurze Zeit verweilen.

Von Heraklit stammt ein weiteres großes Wort: πάντα ῥεῖ / alles fließt. – Alles und jeder ist in Bewegung. Migration ist der Normalfall. Dann ist die Sesshaftigkeit das Problem, die Mutter aller Probleme.

Nachtrag
Ein interessantes Video über Migration, Herkunfts- und Zielländer sowie Migrationskorridore findet sich auf der Website der Bundeszentrale für politische Bildung.