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Ganz der Vater oder die Mutter?

Heute ist der 202. Todestag von Ernst Christian Trapp (1745–1818), dem ersten deutschen Inhaber eines Lehrstuhls für Pädagogik. Seine Antrittvorlesung an der Universität in Halle (Saale) hatte den Titel Von der Notwendigkeit, Erziehung und unterrichten als eine eigene Kunst zu studieren. Darin heißt es auch:

Es kann keine pädagogischen und didaktischen Regeln und Grundsätze geben, keine Maximen der Schulreform, die nicht von Fall zu Fall geändert, an die jeweiligen Umstände angepasst und korrigiert werden müssten.

Das passt sowohl zu den ständigen Reform- und Gegenreformvorschlägen in den Ländern, als auch zu der ganz akuten Herrausforderung, vor die Eltern, Lehrer und Schüler in Zeiten des Corona-Lockdowns gestellt sind. Und dann haben wir noch gar nicht von den Inhalten gesprochen, etwas die Bedeutung von Goethes Faust für 16-Jährige des 21. Jahrunderts.

Was aber aktuell wieder allen Verantwortlichen auf den Nägeln brennt, ist der große Unterschied zwischen Kindern gebildeter Eltern und denen aus bildungsfernen Schichten. Für die einen sind die vergangenen Wochen eine mal interessante, mal anstrengende Abwechslung zum klassischen Schulalltag, die trotzdem einen Lernerfolg brachten, während für die anderen entweder seit Mitte März kein Schulbuch mehr gesehen haben oder mit ihren Fragen zum Stoff alleingelassen bleiben. Das ist eine Ungerechtigkeit des Bildungssystems, die sich wohl leider niemals vollständig wird eliminieren lassen.

Ganz in der Nähe dieses Problems umwabert uns die ewige Frage, ob des Menschen Natur oder dessen bzw. die von seinen Vorfahren geschaffene Kultur den jungen Menschen stärker prägt. Im Englischen heißt dies pointiert nature versus nurture. Solche Kurzformen greifen natürlich nicht weit genug. Ist das Verhalten der Mutter während der Schwangerschaft bereits Kultur? Ist die frühkindliche Erziehung noch ein Rest eines natürlichen Verhaltens?

In früheren Zeiten hat man diesen Dualismus über die Geschlechter dargestellt. Die Mutter bringt das Kind zur Welt. Das ist die Natur. Der Vater führt die Heranwachsenden in die Gesellschaft ein. Das ist die Kultur.

Im Parzival [siehe Beitragsbild] nach Wolfram von Eschenbach (1160–1220) heißt es im Kapitel 738 auf Mittelhochdeutsch:

den lewen sîn muoter tôt gebirt:
von sînes vater galme er lebendec wirt.
(Die Löwin ihr Junges tot gebiert,
das durch Vaters Gebrüll lebendig wird.)

Der Übersetzer Kurt Heinrich Hansen (1913–1987) rettete eine arabische Redewendung unbekannter Herkunft ins Deutsche, die man fast als Antwort auf den Parzival verstehen kann:

Zweimal wird der Mensch geboren:
Hat die Mutter dich verloren,
dann sieh zu, dass du vom Geist
deines Vaters dich befreist!

Andere sehe nicht so sehr die Rollen der Eltern im Mittelpunkt, als viel mehr das Geschlecht des Nachwuchses. Das wird heute mit der Aufteilung in Sex und Gender kritisch betrachtet. Dem englischen Romantiker Robert Southey (1774–1843) wird folgender Nursery Rhyme mit der Nummer 821 im Roud Folk Song Index zugeschrieben:

What are little boys made of?
What are little boys made of?
Snakes and snails
And puppy-dogs’ tails
That’s what little boys are made of.

What are little girls made of?
What are little girls made of?
Sugar and spice
And everything nice
That’s what little girls are made of.

Als Funfact am Rande: Southey gilt auch als der Autor, der das Wort Zombie aus dem Haitianisch-Französisch für das Englische entlehnte.

Schließen wir diesen Artikel mit einem gemischgeschlechtlichen Geschwisterpaar aus Neuseeland. Die Broods sangen auf ihrem zweiten Album Evergreen, dessen Cover die beiden als Menschen mit Hunde- und Katzengesicht darstellt ein Lied aus der Perspektive eines jungen Erwachsenen, der nun Mutter und Vater verlassen hat. Es wird sich finden.

Und wenn ich schon dabei bin; es gibt auch eine schöne Akustikversion:

Mütter und Väter von Problemen und die Migration

Unser äußerst problematischer Innen- und Heimatminister Horst Seehofer hat sich am Mittwoch zu einem Satz verstiegen, der wohl in den Zitatenschatz der Zeitgeschichte eingehen wird. Es waren wenige anwesend bei der CSU-Tagung, in deren Verlauf er nach Angaben der Welt (siehe Video) gesagt haben soll, die Migration sei die Mutter aller Probleme. Man kann wohl von der Authentizität der Aussage ausgehen; schließlich gab es bis dato keine Dementi, sondern viel eher Erklärungen und Rechtfertigungen.

Wer die Verlautbarungen des Ministers schon über einen längeren Zeitraum verfolgt, dem mag sich das Bild eines langsam in die Senilität hinüber gleitenden Großvaters aufzwingen. Und Opa lässt man am besten unwidersprochen brabbeln. Sonst regt er sich noch zu sehr auf und das Familienfest wird durch das Rufen eines Notarztes ganz verdorben. Im Netz gibt es ein schönes Meme, das Angela Merkel mit Seehofer zeigt und Merkel sagen lässt: Deine Mutter ist die Mutter aller Probleme. Ich denke, eine ganze Reihe von Menschen würden diese Aussage unterschreiben. Tatsächlich sagte die Kanzlerin deutlich diplomatischer dazu, die Migrationsfrage stelle uns vor Herausforderungen, und dabei gebe es auch Probleme.

Nun ist es aber mit ein paar Deine-Mutter-Witzen nicht getan. Die Lage in Deutschland ist zu ernst, um es nur bei ein paar Memes über den politischen Gegner zu belassen. Man muss sich – wohl oder übel – mit den Sichtweisen des politischen Gegners auseinandersetzen und sie ordentlich, nachvollziehbar widerlegen.

Die Erkenntnisse des vorsokratischen Philosophen Heraklit von Ephesos (520–460 v.Chr.) sind nur fragmentarisch überliefert. Eine der bekanntesten Paraphrasen lautet: Der Krieg ist der Vater aller Dinge. Dieser Satz ist so kurz wie missverständlich. Manche hören in ihm einen Repräsentanten der Herrschenden darüber sinnieren, dass die wichtigsten Erfindungen in dem Bestreben gemacht wurden, einen uneinholbaren Vorteil gegenüber einem Kriegsgegner zu erlangen. So ist der Satz wohl aber nicht gemeint, wenn man ihn im Kontext weiterer Fragmente Heraklits betrachtet. Er ist wohl eher so zu verstehen, dass die Welt beständig zwischen Polen hin und her schwankt, zwischen Alt und Jung, Arm und Reich, Männlich und Weiblich, Heiß und Kalt. An den idealen Polen herrscht Stillstand. Und das, was wir Leben nennen, findet im Miteinander statt, in einem Aushandlungsprozess, den man vom Schreibtisch aus überspitzt Krieg nennen mag. Ein solcher Krieg also ist der Vater aller Dinge. Dieser Satz wurde eben vor Stalingrad geschrieben, auch vor Verdun oder Issos. Damit ist ein solcher Aushandlungsprozess als Vater aller Dinge aber nicht der zweite Elternteil zum Problem, sondern das sogenannte Problem bzw. unser Umgang damit der Beginn aller neuen Dinge.

Ulla Jelpke, die innenpolitische Sprecherin der Linken-Bundestagsfraktion, bleibt im sprachlichen Bild des Innenministers, wenn sie sagt, Seehofer sei der Vater aller Rassismusprobleme in Deutschland. Wichtiger stellt sie dann aber heraus, dass Migration ursächlich für Rassismus wäre, sei ein rechter Mythos, der auf unerträgliche Weise die Rollen von Tätern und Opfern verkehre. Wie kommen wir nun aber an die tatsächlichen Ursachen?

Der britische Autor Bruce Chatwin (1940–1989), der manchen Spät-Neu-Romantikern durch die Nutzung von Moleskine-Notizbüchern bekannt ist, widmet sich in einigen seiner Bücher (das bekannteste davon ist wohl Traumpfade/Songlines, 1987) dem Nomadentum. Stark vereinfacht gesprochen ist seine These, der Mensch sei zum Nomadentum geboren, seine Sesshaftwerdung sei der Sündenfall. Denn Besitzanhäufung, Mord aus Habgier, Erbschaftsstreitigkeiten – dies alles könne sich ein Nomade gar nicht leisten. Er nehme stets nur das Wichtigste mit, das, was er noch tragen könne. Seine Allgemeine Theorie des Nomadentums konnte Chatwin nicht mehr erarbeiten. Er zog uns Lebenden 1989 voraus.

Was bleibt ist die Verunsicherung, ob vielleicht nicht der Fremde vor unseren Toren ein Problem ist, sondern vielmehr, dass wir unser Tor verrammeln, Grund und Boden im Privaten wie staatlich sicher wähnen, obgleich wir alle auch nur für eine kurze Zeit verweilen.

Von Heraklit stammt ein weiteres großes Wort: πάντα ῥεῖ / alles fließt. – Alles und jeder ist in Bewegung. Migration ist der Normalfall. Dann ist die Sesshaftigkeit das Problem, die Mutter aller Probleme.

Nachtrag
Ein interessantes Video über Migration, Herkunfts- und Zielländer sowie Migrationskorridore findet sich auf der Website der Bundeszentrale für politische Bildung.

Was lange währt, wird gut

Im Dezember 2002 begann ich mit einer Ausstellung die Arbeit am Phänomen der Vaterlosigkeit von Söhnen. Vatermörder nannte ich das Projekt. Das sollte auch ein wenig knallen. Dann schoben sich viele andere Dinge, Projekte, Ideen dazwischen. Nun endlich kann ich den abschließenden Band von Interviews vorstellen. Mit der Zeit ist das Projekt etwas milder geworden. Jetzt heißt es Vaterbilder.

cover-vaterbilder

Das Buch Vaterbilder – Gespräche mit Söhnen aus Rumpf- und Patchwork-Familien ist für 14,95 EUR unter der ISBN 978-3-7450-1597-3 im Buchhandel erhältlich. Es kann auch direkt beim Verlag bestellt werden.

Links
https://www.epubli.de/shop/buch/vaterbilder-fabian-williges-9783745015973/66957
http://vatermoerder.de/
http://www.vaterbilder.de/

Namenstag des Hl. Joseph von Nazareth

Der Hl. Joseph gehört wohl neben Jesus und Maria zu den bekanntesten Personen des Neuen Testaments. Doch weiß man mehr über seinen Beruf (Zimmermann) als über seine tatsächliche Beziehung zu den beiden anderen. War er der Ehemann Marias, der mit ihr viele Kinder hatte, wie zum Beispiel Jakobus, den „Bruder“ des Herrn? Oder war der alternde Joseph der jungen Maria eher ein väterlicher Freund, der mit ihr die geschlechtslose und nach ihm benannte Josephsehe führte?

Der Stammbaum Jesu, der in den Evangelien nach Matthäus und nach Lukas (unterschiedlich) aufgelistet ist, nennt Joseph als das letzte Glied der Kette, das Jesu Abstammung von König David bezeugen soll. Eine Beweisführung, die bei wortwörtlicher Jungfrauengeburt offenkundig obsolet wäre.

Vielleicht ist das aber auch eine moderne Funktion des Hl. Joseph, uns zu zeigen, dass biologische Vaterschaft am Ende nur für den Genetiker interessant ist. Vater ist, wer die Rolle des Vater annimmt, sie mit Leben füllt und dem Kind gegenüber Verantwortung übernimmt. Joseph hat genau das getan.

In meinem Projekt Vatermörder, an dem ich dieser Tage verstärkt arbeite, beschäftige ich mich mit abwesenden biologischen Vätern und den ihnen folgenden Stiefvätern bis hin zu modernen Patchwork-Familien. Vor allem aber geht es mir darum, was diese Lebenssituation mit den Söhnen macht. Man darf gespannt bleiben.

Der Josephstag war bis in die späten 60er Jahre in Bayern ein gesetzlicher Feiertag, in Italien sogar noch bis 1977. In vielen Kantonen der Schweiz wird er bis heute gefeiert. In manchen Bundesländern Österreichs ist auch heute noch zu Sankt Joseph schulfrei.

Eine schöne Bauernregel verheißt uns nach dem heutigen Sonnentag ein gutes Jahr:

Ist es zu Sankt Joseph klar,
folgt ein gutes Honigjahr.