Archiv der Kategorie: Selbstbezogen

Beginn der Geburtstagswochen

Was meinen Geburtstag angeht, bin ich ein Kind geblieben. Der Satz klingt etwas eigenartig, entferne ich mich doch gerade mit steigender Zahl an Geburtstagen von meiner Kindheit. Geblieben ist mir die Spannung auf diesen Tag hin, obwohl ich im Erwachsenenalter keine großen Überraschungsgeschenke erwarte. Es ist eine Art individueller Adventszeit, vielleicht weil mein Geburtstag auf den Vierundzwanzigsten fällt. Es sind für mich die Geburtstagswochen. Die möchte ich heute einläuten mit einer Top-Five-Liste von besonderen Jahrestagen des 1. Februar 2017, in denen sich auch die aktuelle Lage der Welt spiegeln soll:

  • 1892, vor 125 Jahren, gelangen dem Astronomen Martin Brendel gemeinsam mit dem Geografen Otto Baschin am Altafjord in Norwegen die ersten bekannten Fotografien des Nordlichts.
  • 1917, vor 100 Jahren, eröffnete die deutsche Marine im Ersten Weltkrieg den uneingeschränkten U-Boot-Krieg um Großbritannien und Frankreich, sowie im Mittelmeerraum. Das Kriegsglück drehte sich nicht. Die deutsche Jugend zwischen den Kriegen erhielt neue Helden.
  • 1942, vor 75 Jahren, ging der US-amerikanische Auslandssender Voice of America von Großbritannien in deutscher Sprache zum ersten Mal auf Sendung, um den Propaganda geplagten Deutschen die Wahrheit über den Krieg und die Naziverbrechen zu verkünden.
  • 1957, vor 60 Jahren, lief der von Felix Wankel entwickelte und später nach ihm benannte Drehkolbenmotor DKM54 auf dem Prüfstand der NSU zum ersten Mal. 1960 wurde der Wankelmotor mit dem NSU Prinz III erstmals in einem Pkw verbaut.
  • 2012, vor 5 Jahren, starb die polnische Dichterin und Literaturnobelpreisträgerin Wisława Szymborska. Eines ihrer bekanntesten Gedichte heißt Kot w pustym mieszkaniu (Katze in der leeren Wohnung) und erschien vor 25 Jahren in deutscher Sprache. Der Übersetzer Karl Dedecius verstarb übrigens 2016, ebenfalls im Februar.

Katze in der leeren Wohnung

Sterben – das tut man einer Katze nicht an,
Denn was soll die Katze
in einer leeren Wohnung.
An den Wänden hoch,
sich an Möbeln reiben.
Nichts scheint sich hier verändert zu haben,
und doch ist alles anders.
Nichts verstellt, so scheint es,
und doch alles verschoben.
Am Abend brennt die Lampe nicht mehr.

Auf der Treppe sind Schritte zu hören,
aber nicht die.
Die Hand, die den Fisch auf den Teller legt,
ist auch nicht die, die es früher tat.

Hier beginnt etwas nicht
zur gewohnten Zeit.
Etwas findet nicht statt,
wie es sich gehört hätte.
Jemand war hier und war,
dann verschwand er plötzlich
und ist beharrlich nicht da.

Alle Schränke durchforscht.
Alle Regale durchlaufen.
Unter Teppichen geprüft.
Trotz des Verbots
die Papiere durchstöbert.
Was bleibt da noch zu tun.
Schlafen und warten.

Komme er nur,
zeige er sich.
Er wird’s schon erfahren.
Einer Katze tut man sowas nicht an.
Sie wird ihm entgegenstolzieren,
so, als wollte sie’s nicht,
sehr langsam,
auf äußerst beleidigten Pfoten.
Noch ohne Sprung, ohne Miau.

Top-Five-Liste von Spendenmöglichkeiten

Um Weihnachten steht das Geben im Vordergrund. Wir suchen die passenden Geschenke für unsere Freunde und Familienangehörigen. Und wir beben still in freudiger Erwartung, auch etwas Kleines geschenkt zu bekommen. Für Kinder ist das etwas wichtiger als für Erwachsene. Aber auch wir Abgeklärteren können uns noch über freundliche Gaben freuen. Mittlerweile schon gute Tradition ist es auch, um Weihnachten denen abzugeben, die man vielleicht nicht immer ganz direkt am eigenen Wohnzimmertisch sitzen haben möchte, deren Not man aber doch anerkennt.

Aus diesem Anlass möchte ich meine persönliche Top-Five-Liste an Spendenkonten für diese Jahreszeit (aber auch den Rest des Jahres) nennen. Es ist keine Rangfolge. Alle fünf Organisationen haben unsere Unterstützung verdient:

  • Brot für die Welt – Der Entwicklungsdienst der evangelischen Landeskirchen leistet seit 58 Jahren vorbildliche Hilfe zur Selbsthilfe in den Ländern der Dritten Welt. Als Pastorensohn begleiten mich die Bilder und Plakate von Brot für die Welt mein gesamtes Leben. Motto der diesjährigen Aktion: Satt ist nicht genug!
    http://www.brot-fuer-die-welt.de/
  • Amnesty International – Nur wenig jünger ist der in London gegründete Verteidiger der Menschenrechte. AI beobachtet, prangert an und klopft auch in Deutschland der Verwaltung auf die Finger, der sie in diesem Jahr ein mancherorts rassistisches Vorgehen bescheinigte.
    http://www.amnesty.de/
  • SOS-Kinderdörfer – Die Hermann-Gmeiner-Stiftung ist nicht nur im deutschsprachigen Raum tätig. In Österreich begann 1949 die wichtige Arbeit, die Kindern ein sicheres Zuhause bietet. Heute gibt es SOS-Kinderdörfer weltweit. Gerade wird ein neues im syrischen Damaskus aufgebaut.
    http://www.sos-kinderdoerfer.de/
  • Ärzte ohne Grenzen – Aus Paris stammen die 1971 gegründeten Médecins Sans Frontières. Sie liefern Hilfsgüter ins zerstörte Aleppo und retten in Seenot geratene Flüchtlinge auf dem Mittelmeer. DAs sind natürlich nur zwei prominente Beispiele für die umfangreiche Arbeit der MSF.
    https://www.aerzte-ohne-grenzen.de/
  • Soziokulturelles Zentrum „Die VILLA“ – Selbstverständlich kann sich die VILLA nicht mit den vorher genannten Riesen messen. Was aber nicht heißt, dass die Arbeit des Hause zu vernachlässigen wäre. Die soziokulturelle Arbeit war schon immer wichtig. Zur Zeit steht auch sie unter dem Stern der Fluchtbewegungen. Sprachkurse unabhängig vom Aufenthaltsstatus, Möglichkeiten der Begegnung und seit neuestem auch die wissenschaftlich Aufarbeitung der Auswirkungen der Migration im Projekt New Forms of European Citizenship in the Era of Migration.
    http://villa-leipzig.de/
    https://it.surveymonkey.com/r/KVRTTYB – zur Umfrage im Rahmen des besagten Projekts.

Neuerscheinung: „When you’re not around …“

Ich war nun über einen Monat blogabstinent. Aber das heißt nicht, dass ich untätig gewesen wäre. Neben meinem Unterricht habe ich auch mein jüngstes Buch ins Englische übertragen und veröffentlicht. Aus „Wenn du nicht da bist …“ wurde „When you’re not around …“. Ich hoffe, dass es so noch mehr Leser erreichen kann.

When you're not aroundWhen you’re not around … von Fabian W. Williges
ISBN 9783741876172; Preis: 7,95 EUR

http://www.epubli.de/shop/buch/When-youre-not-around-Fabian-Williges-9783741876172/59289

Zum Tod von Leonard Cohen

Heute Morgen erreichte mich die Nachricht, dass gestern Leonard Cohen im Alter von 82 Jahren gestorben ist. In diesem Alter aus der Welt zu scheiden, ist kein schwerer Schicksalsschlag. Und ihn weiß ich mehr als alle anderen am Thron des Herrn stehend und singend. Aber ohne Cohen wird es in dieser Welt gleich noch bisschen kälter und einsamer.

Seine Lieder werden bleiben. Und was für Lieder! Ich könnte Top-Five-Listen für jedes einzelne Album erstellen und hätte das Gefühl, wichtige Lieder unterschlagen zu haben.

Statt eine solche Liste aufzustellen, möchte ich ein Prosagedicht aus dem 1984 erschienenen Book of Mercy zitieren, zu dem ich auch eine ganz persönliche Beziehung habe. Kerstin hieß meine beste Freundin in meinem Abiturjahrgang. Nach der Schule saßen wir manches Mal im Karstadt-Restaurant und unterhielten uns bei Bechern von Kaffee über Gott und die Welt, Literatur und Musik. Durch sie habe ich z.B. Billy Bragg kennengelernt. Bei einem dieser Treffen geschah es, dass wir uns gleichzeitig eine Neuentdeckung vorlesen wollten. Ich erhielt der Vortritt und las das folgende Prosagedicht von Cohen. Kerstin lächelte. Sie hatte dasselbe Gedicht ausgesucht.

I heard my soul singing behind a leaf, plucked the leaf, but then I heard it singing behind a veil. I tore the veil, but then I heard it singing behind a wall. I broke the wall, and I heard my soul singing against me. I built up the wall, mended the curtain, but I could not put back the leaf. I held it in my hand and I heard my soul singing mightily against me. This is what it’s like to study without a friend.

Vielen Dank, Leonard Cohen!

Neuerscheinung: „Wenn du nicht da bist …“

Der 9. November ist ein ganz besonderer Schicksalstag. Er steht stellvertretend für das düsterste und schuldhafteste Kapitel deutscher Geschichte (Reichspogromnacht 1938). Und er kennzeichnet einen Neuanfang bzw. den Höhepunkt einer friedlichen Revolution (Mauerfall 1989). Noch viel mehr ist passiert in Deutschland an einem 9. November. Doch diese beiden Daten sollen zur Veranschaulichung reichen.

Heute kommt ein weiteres Datum hinzu: Donald Trump ist zum 45. Präsidenten der USA gewählt worden. Ob er ein katastrophaler Präsident wird oder nur ein schlechter, vielleicht entgegen allen Erwartungen ein farbloser oder letztendlich gar ein passabler, das wissen wir heute noch nicht. Wir kennen nur seine Demagogie des Wahlkampfes. Schon da hat er neue Maßstäbe gesetzt. Und wir kennen seine Wählerschaft, die sich von offensihtlichen oder zumindest später bewiesenen Lügen nicht beeindruckt zeigt.

Dem möchte ich – in einem ganz kleinen und persönlichen Schritt – etwas entgegensetzen. Der 9. November 2016 ist nun auch der Tag, an dem ich mein Bilderbuch über die Liebe und das Vermissen mit dem Titel „Wenn du nicht da bist …“ offiziell herausgebe.

Wenn du nicht da bist

Zu beziehen ist das Buch über den Buchhandel, über Versandhäuser wie Amazon oder über den Verlag epubli selbst. Natürlich kann man auch mich direkt ansprechen. Die Beschreibung zum Buch: Ein verliebter Mann sitzt zu Hause und denkt über die Liebe nach, über das Fehlen der geliebten Person. Wie kann das sein? – Vor kurzem kannte man sich noch gar nicht; und jetzt vermisst man sich schon. Mit einfachen Bildern nähert er sich diesem Phänomen, das man in der Weltliteratur auch als süßen Schmerz kennt. Die sprachlichen Bilder sind übersetzt in ebenso einfache Zeichnungen, die einem das Herz erwärmen.

Wenn du nicht da bist … von Fabian W. Williges
ISBN 9783741864629; Preis: 7,95 EUR

http://www.epubli.de/shop/buch/Wenn-du-nicht-da-bist-Fabian-Williges-9783741864629/57549

Wrocław und Abbas Khider

Das war wieder eine längere Posting-Pause. Zwei Polen-Aufenthalte und auch ein wenig die Arbeit haben sie nötig werden lassen. In den letzten Tagen überlegte ich, ob und welche Fotos ich von meinen Fahrten nach Breslau, Krakau und Auschwitz posten sollte. Aber irgendwie fühle ich mich gar nicht danach.

Seit einigen Tagen gährt in mir viel Wut und Traurigkeit, wenn ich an Bautzen denke. Ich höre die Meldungen, lese die Artikel und kann nicht fassen, wie das Geschehen so lakonisch aufgenommen werden kann. Mir fällt kein konstruktiver Lösungsansatz ein. Nach einem Urlaubsboykott von Usedom muss wohl auch Bautzen auf die Liste. Bei der Ersten Hilfe gilt es ja auch, die eigene Gefährdung zu vermeiden. Aber da muss noch etwas folgen. Wir können die unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten doch nicht in solcher Gesellschaft lassen!

Eine Polen-Impression passt an dieser Stelle. Breslau/Wrocław ist in diesem Jahr Kulturhauptstadt Europas. Einiges was in diesem Rahmen veranstaltet wurde habe ich wahrgenommen. Eins allerdings nicht, weil es eine Terminüberschneidung gab. Im stillgelegten Świebodzki Bahnhof (ehemals Freiburger Bahnhof) war ein genreübergreifendes Kunstprojekt untergebracht zum Thema Flüchtlinge. Der allgemein Titel lautet auf Englisch:

unfinished palace,
migrating people,
moving border /
european songlines

Schon dieser Titel hat mich für dieses Projekt eingenommen, spielt er doch auf die im Deutschen Traumpfade genannten Wege der australischen Ureinwohner. Bruce Chatwin hat einen wunderbaren Roman unter dem Titel „The Songlines“ veröffentlicht. Eine wichtige These Chatwins ist, dass die Sesshaftigkeit des sich entwickelnden Menschen der eigentliche Sündenfall ist. Mit ihr komme das Besitzstreben – über Tragbares hinaus. Besonders interessiert hätte mich die Multimedia-Inszenierung „Don’t Be So Sure That You Are Legal“ im Rahmen der European Songlines. Wir sind uns in Deutschland ja so sicher. Wir geben auch gerne neunmalkluge Ratschläge, was ein junger Flüchtling besser hätte machen sollen, anstatt nach Europa zu kommen. Woher nehmen wir dieser Dreistigkeit? Und was passiert, wenn wir einmal wieder gute Gründe finden für eine Flucht?

In der selben Zeit hat mich eine gute Freundin auf den Autoren Abbas Khider aufmerksam gemacht. Er ist auf den Tag genau eine Woche jünger als ich, hat aber eine vollkommen andere Biografie. Khider wurde in Bagdad geboren und lebt seit 2000 in Deutschland. Was ihn zur Flucht bewogen hat und auf welchen verworrenen Wegen sie letztendlich gelang, ist – künstlerisch überformt und verfremdet – Inhalt seines ersten Romans „Der falsche Inder“, den ich an dieser Stelle rückhaltlos empfehlen möchte. Khider schreibt übrigens auf Deutsch. Das nenne ich eine Integrationsleistung. Sein jüngstes Werk „Ohrfeige“ schildert die Lage der Flüchtlinge in den Fängen der deutschen Bürokratie. Ebenfalls sehr lesenswert. Es ist vom WDR zu einem knapp einstündigen Hörspiel verarbeitet worden, das auch auf CD erhältlich ist.

Links
http://niedokonczonydom.pl/en/
http://europaoculta.de/
http://www.wroclaw2016.pl/
http://www.abbaskhider.com/

20. Todestag von Rio Reiser

Als ich 1984 in der Nähe von Eschwege beim Bundeslager des Verbandes Christlicher Pfadfinderinnen und Pfadfinder (VCP) abends am Lagerfeuer saß, spielte ein älteres Mädchen auf der Gitarre. Ich war damals elf Jahre alt und kann nicht sagen, ob Scotty – so wurde das Mädchen genannt – 14 oder 20 Jahre alt war. Dieses Mädchen war für mich einfach groß und beherrschte das Instrument, dessen Spiel ich am Ende dieses Sommers auch erlernen würde. Mein Traum vom Verändern dieser Welt durch kraftvolle Songs begann mit einem Song, den ich in meiner Unwissenheit erst einmal Scotty selbst zuschrieb: Der Traum ist aus.

1984 war auch das Jahr, in dem Rio Reiser 34-jährig mit der Unterstützung von Annette Humpe seine Solo-Karriere startete. Den König von Deutschland brachte ich bis kurz vor meinem Abitur nicht mit dem unterbrochenen Träumer in Verbindung. In meinem vierten Jahr in Leipzig ist Rio Reiser dann unerwartet gestorben. Nach seiner Umbettung vor fünf Jahren habe ich ihm auf dem Alten Matthäi Friedhof in Berlin Schöneberg schon einige Male die Ehre erwiesen. Ein Konzert von ihm habe ich leider nie erlebt. Seine Art zu texten hat mich stark beeinflusst.

Ich möchte an dieser Stelle – vielleicht etwas abgedroschen aber doch so passend – den Anfang von Junimond zitieren:

Die Welt schaut rauf zu meinem Fenster
Mit müden Augen ganz staubig und scheu
Ich bin hier oben auf meiner Wolke
Ich seh Dich kommen aber Du gehst vorbei

Ach, dann können wir ja auch gleich das Video schauen:

Links
http://rioreiser.de/
http://tonsteinescherben.de/

Die Lage der Welt anhand von fünf historischen Ereignissen

Wie viele meiner Freunde kann ich mich in den letzten Monaten des Gefühls nicht erwehren, dass die ganze Welt verrückt geworden ist. Natürlich stimmt das überhaupt nicht; denn die Welt war schon immer verrückt. Trotzdem scheinen wir gerade in einer Phase zu leben, in der bestimmte Ereignisse sich häufen und fatale Prozesse eine Beschleunigung erfahren. Ich habe Angst um die EU, Angst vor den rechten Akteuren auf den Straßen und in neuen wie alten Parteien, Angst um das Leben der Flüchtlinge auf dem Mittelmeer, Angst vor islamistischem Terror, Angst vor Terror mit anderem Hintergrund bis hin zu Amokläufen psychisch Labiler, Angst vor einem neuen Kalten Krieg, Angst um unser Leben, wie wir es kennen und zu führen gewohnt sind. Und ich weiß, dass ich damit nicht allein bin. Aber diese Angst ist kein guter Ratgeber. Aus Angst macht man viele Fehler, vieles schlimmer, als es bisher war. Angst muss man manchmal auch einfach aushalten.

Damit sich zu dieser Angst auch ein wenig Gelassenheit mischt, erstelle ich heute eine Top-Five-Liste historischer Ereignisse des 17. Juli, die uns – leicht augenzwinkernd – die heutige Lage der Welt, vielleicht nicht erklären, aber doch zumindest kommentieren können:

  1. Luther geht ins Kloster – Von einem schweren Gewitter auf freier Flur überrascht rief der Student: Hilf du, heilige Anna, ich will ein Mönch werden! Er überlebte das Unwetter und trat am 17. Juli 1505 in das Augustiner-Kloster in Erfurt ein. Als Mönch beschäftigte er sich besonders mit der Frage nach dem gnädigen Gott und damit, wie wir als Menschen vor Gott gerecht werden könnten. Sein Beichtvater empfahl ihn für das Studium der Theologie in Wittenberg. Und der Rest ist Geschichte: Romreise, Reformation, Reichstag und die wichtige Rechtfertigungslehre.
  2. Kinderarbeit wird in Deutschland eingeschränkt – Zunächst bemerkte Friedrich Wilhelm III. von Preußen, dass eine wachsende Zahl von Rekruten sowohl körperlich als auch geistig beeinträchtigt waren. Das lag an den menschenunwürdigen Bedingungen in den Bergwerken und Fabriken, in denen Kinder oft schon mit sechs Jahren zwölf Stunden pro Tag arbeiten mussten. Ab dem 9. März 1839 war in Preußen Kinderarbeit unter 10 Jahren in Fabriken und Bergwerken verboten, sogar unter 16 Jahren, wenn die betreffende Person keine grundlegende Schulbildung vorweisen konnte.
    Nach der Reichsgründung 1871 mussten alle Gesetze harmonisiert werden. 1878 war die Gewerbeordnung dran. Sie wurde am 17. Juli grundsätzlich aus Preußen für das gesamte Reich übernommen. Kinderarbeit in Fabriken wurde nun im gesamten Reich verboten; in der Landwirtschaft und für Heimarbeit blieb sie aber erlaubt. Kinder unter 14 Jahren durften nicht mehr als sechs Stunden täglich arbeiten und Jugendliche von 14 bis 16 Jahren nicht mehr als zehn Stunden. Die Strafen bei Nichteinhaltung dieser Gesetze blieb allerdings gering. Die Kinderarbeit in der Landwirtschaft wurde übrigens in der Bundesrepublik erst 1960 abgeschafft.
  3. Zar Nikolaus II. wird mit seiner Familie exekutiert – Nikolaus II. war der letzte Zar Russlands. Sein Sohn Alexei blieb bis zu seinem brutalen Tod mit 13 Jahren ein Zarewitsch, ein Sohn des Zaren und möglicher Nachfolger. Während der Oktoberrevolution 1917 wurde die Zarenfamilie gefangen gesetzt. Am 17. Juli 1918 wurden alle von einem Erschießungskommando exekutiert. Alexei, der als Bluterkranker seine gesamte Kindheit vor Verletzungen geschützt worden war, soll sich als besonders widerständig erwiesen haben. Nach den ersten Schüssen versuchte man, ihn mit Bajonettstichen zu töten. Ein Hemd mit eingenähten Edelsteinen soll ihn geschützt haben. Schließlich wurde er durch zwei Kopfschüsse getötet. In der russisch-orthodoxen Kirche werden er und die anderen Mitglieder der Zarenfamilie als Heilige verehrt. Sie gelten als Leidensträger, die im Gegensatz zu Märtyrern nicht für ihr Christsein aber doch als Christen gestorben sind.
  4. Beginn der Potsdamer Konferrenz – Die Potsdamer Konferenz ist die letzte in einer Reihe von Treffen der Alliierten, um die Neuordnung Europas nach dem Zweiten Weltkrieg zu beschließen. Sie steht für das Ende des Weltkrieges und für den Beginn des Kalten Krieges. Von britischer Seite begann Winston Churchill (konservativ) die Konferenz, wurde aber nach seiner Wahlniederlage in der Heimat 10 Tage später durch seinen Nachfolger Clement Attlee (labour) ersetzt. Es ist müßig zu überlegen, was in dieser Konferenz hätte anders laufen müssen, um eine 40-jährige Teilung Deutschlands zu verhindern. Es bleibt die wiederholte Erkenntnis, dass am grünen Tisch nicht alles bestimmt werden kann, und dass eine Versammlung großer Staatsmänner nicht zwingend auch ein großartiges Ergebnis hervorbringt, vor allem wenn statt des großen Zieles (Schaffung und Erhaltung des Weltfriedens) jeder seine eigene nationale oder gar persönliche Agenda verfolgt.
    Auf den Tag genau 53 Jahre später wurde unter dem Eindruck des Jugoslawienkrieges in Rom ein anderer wichtiger internationaler Schritt gegangen: die Gründung des Internationalen Strafgerichtshofes, der schließlich 2002 in Den Haag seine Arbeit aufnahm. 124 Staaten sind dem Rom-Statut beigetreten. Nicht mit dabei sind vor allem: die Volksrepublik China, Indien, Irak, Iran, Israel, Kuba, Nordkorea, Pakistan, Russland, Syrien, Saudi-Arabien, Sudan, Türkei und die USA. Ich lasse diese Aufzählung mal unkommentiert.
  5. Walt Disney eröffnet sein erstes Disneyland – Nach den Erfolgen im Zeichentrick schuf Disney 1955 mit seinem ersten Disneyland in Anaheim, Kalinfornien einen weiteren Pfeiler seiner heutigen kommerziellen Macht. Bis heute wird dieses Disneyland weltweit in Sachen Besucherzahlen nur vom zweiten Disneyland in Oregon, Florida überflügelt. Die Idee des Vergnügungsparks war allerdings nicht neu. Der erste Park wurde 1583 [sic!] im dänischen Klampenbork gegründet. Er ist noch heute in Betrieb. Der Wiener Prater stammt aus dem Jahre 1766 und fällt wohl auch in diese Kategorie. Die Ansammlung mehrerer Vergnügungsparks, die Coney Island bilden, wächst und gedeiht seit Ende des 19. Jahrhunderts. Der russische Schriftsteller Maxim Gorki notiert 1906 über Coney Island: Das ist die Freiheit in der Hand des gelben Teufels, des Goldes. – Walt Disney hat später diese Herrschaft des Goldes über die – vermeintliche – Freiheit dann nur noch perver… äh … perfektioniert. Pervers ist die Situation ja bereits vorher gewesen.

Nicht als historische Ereignisse in diesem Sinne aufzuführen, aber auch nicht unerwähnt zu lassen sind folgende kurze Schlaglichter zum 17. Juli:

  1. Hinrichtung der Scilitanischen Märtyrer († 180) – Eine Gruppe von zwölf Männern und Frauen in Karthago wurden vom römischen Proconsul Publius Vigellius Saturninus hingerichtet. Sie sind nicht die ersten christlichen Märtyrer. Ihre Leidensgeschichte ist aber die älteste bekannte in lateinischer Sprache.
  2. Todestag von Adam Smith (1723–1790) – Der Aufklärer gilt als Begründer der Volkswirtschaftslehre. Vergessen dürfen wir aber nicht bei seiner Lektüre, dass ihm die globale Sicht noch nicht ganz vergönnt war. [Stichwort: Ausbeutung der Südhalbkugel durch die Länder der Nordhalbkugel.] Von ihm stammt die Idee der Unsichtbaren Hand, ein Konstrukt, das ich gern jedem Verschwörungstheoretiker entgegenschleudere.
  3. Geburtstag von Angela Merkel (* 1954) – Bundeskanzlerin ist sie nicht durch meine Stimme geworden. Aber gerade in den letzten Jahren der Krisen unterschiedlicher internationaler Ursache, wächst meine Achtung vor ihr.
  4. Todestag von Billie Holiday (1915–1959) und John Coltrane (1926–1967) – Ohne die beiden wäre der Jazz heute  nicht das, was er eben ist. Außerdem kann ich in dieser Liste ja nicht nur Politik und Religion stehen haben.
  5. Amtsantritt von Baschar al-Assad als Syrischer Staatspräsident (2000) – Der Amtsantritt des jungen, westlich gebildeten Augenarztes war noch mit hohen Hoffnungen verknüpft. Heute sieht es entschieden anders aus.

Musikergeburtstage

Es ist fast ein ganzer Monat verstrichen, seit ich etwas gepostet habe. Aber dazwischen war ich nicht untätig: viel Unterricht sowie eine Reise nach Baltrum für Lesung und eine Schreibwerkstatt. Außerdem arbeite ich gerade an so etwas wie einem Roman. Ups! Über solche Dinge soll man ja nicht reden, wenn sie noch nicht fertig sind … Na ja, jetzt ist es eben mal passiert.

Am heutigen Tage ist in der Geschichte schon wieder so viel passiert, dass es mir schwerfällt, ein oder zwei Ereignisse heraus zu picken. Der spätere Kaiser Heinrich II wurde am 9. Juli 1002 in Mainz zum König der Ostfranken gekrönt. Salbung und Krönung nahm dabei der Erzbischof Willigis vor. Das könnte man in einem Blog-Eintrag weiter ausführen. Gestorben ist Heinrich II. am 13. Juli 1024; dieser Tag ist auch sein Gedenktag seit seiner Heiligsprechung. Bestattet ist er mit seiner Frau Kunigunde im Dom zu Bamberg. Diese Stadt liebte der in Hildesheim geborene Ottone über alle Maßen. Er macht sie auch zum Sitz des von ihm begründeten Bistums. Aber über ihn und das Heilige Römische Reich deutscher Nation möchte ich heute gar nicht schreiben. Dafür ist der Tag zu sonnig und leicht.

Gerade komme ich von einem langen Spaziergang aus dem Rosental zurück. Mir ist eher musikalisch zumute. Deshalb ignoriere ich die Geburtstage von Schwergewichten wie Donald Rumsfeld und Wim Duisenberg, nenne keine Todestage und erwähne auch nur kurz, dass heute vor 463 Jahren die Schlacht bei Sievershausen zwischen Moritz von Sachsen und Albrecht II. Alcibiades von Brandenburg-Kulmbach geschlagen wurde. Moritz gewann, erlag aber kurze Zeit später seinen Verwundungen.In der Folge der Schlacht kam es zum Augsburger Religionsfrieden.

Allgemein gilt die Schlacht bei Sievershausen als die blutigste auf dem Gebiet des heutigen Niedersachsen. Möge das auf ewig so bleiben! Ich bin wenige einstellige Kilometer vom historischen Schlachtfeld aufgewachsen. 1979 begründete der Pastor Klaus Rauterberg das Antikriegshaus Sievershausen, das mir und meinem Schulfreund Hubertus Heil ein wichtiges Ausflugsziel wurde.

Mehr Leichtigkeit verspricht da schon die Erinnerung an das Finale der Fußball Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland, das heute vor genau 10 Jahren stattfand – ohne deutsche Beteiligung, so wie morgen das EM-Finale in Frankreich. Frankreich war allerdings damals auch schon mit dabei, um schließlich im Elfmeterschießen den Italienern zu unterliegen, welche im diesjährigen Wettkampf von der deutschen Mannschaft heim geschickt wurden. Alle drei Länder haben ausreichend große Fußballtraditionen, um auch mal eine Niederlage einstecken zu können.

Die Überschrift verspricht Geburtstage von Musikern. Das mache ich ja gern in einer Top-Five-Liste. Heute wird es aber eine Top-Ten-Liste, weil es einfach zu viele sind. Und da habe ich schon Geburtstagskinder wie den Schlager-Hampelmann Ross Antony, die Kurt-Cobain-Witwe Courtney Love sowie den Hannah-Montana-Sidekick Mitchell Musso weggelassen. Also, die zehn für mich wichtigsten musikalischen Geburtstagskinder des 9. Juli in zeitlicher Reihenfolge:

  1. Lee Hazlewood (1929–2007) – An seiner Seite wurde die junge Nancy Sinatra zum Star. Aus seiner Feder stammen die großen Hits: These boots are made for walking und Summer Wine.
  2. Mercedes Sosa (1935–2009) – Der politischer Protestsong im Gewand südamerikanischer Folklore. Über Joan Baez bin ich zu Mercedes Sosa gekommen. Der größte Hit ist wohl: Gracias a la vida.
  3. Mighty Sparrow (*1935) – Ich muss gestehen, dass ich diesen Mann nicht kenne. Wenn er aber der Calypso King of the World genannt wird, kann ich ihn wohl kaum unterschlagen.
  4. Bon Scott (1946–1980) – Während manche streiten, ob Axel Rose nun wirklich zu AC/DC passt, war für andere Brian Johnson bereits der Sündenfall. Scott soll an seinem Erbrochenen erstickt sein und somit zum ersten Mal den Sängerwechsel nötig gemacht haben.
  5. Mitch Mitchell (1947–2008) – Der ehemalige englischer Kinderdarsteller war außerdem Schlagzeuger, der sich als Autodidakt vor allem dem Jazz näherte. Und plötzlich war er der Drummer der Jimi Hendrix Experience.
  6. Marc Almond (*1957) – Seine Band Soft Cell ist legendär. Tainted Love, ihr größter Hit, wird heute noch in Diskotheken gespielt. Aus seinem Schaffen als Solokünstler habe ich Anfang der 90er A Woman’s Story mit meiner Punkband gecovert. Ich glaube, ich muss den mal wieder rauskramen.
  7. James Kerr (*1959) – Zwischendurch mit Chrissie Hynde von den Pretenders verheiratet und mit musikalischen wie außermusikalischen Soloprojekten beschäftigt (z.B: ein Hotel in Taormina), ist er vor allem seit 30 Jahren Sänger und Komponist der schottischen Band Simple Minds. Den wohl größten Hit der Band Don’t You (Forget About Me) zum Film The Breakfast Club schrieb er allerdings nicht.
  8. Vicki Vomit (*1963) – Das Enfant terrible des deutschen Punkrock stammt aus Erfurt. Er ist sich für nichts zu schade und zu fast allem bereit. Songs wie Durchfall im Weltall oder Kleine Meerjungfrau sind einfach herrlich. Vielleicht ist meine Begründung für die Aufnahme Vicki Vomits in diese List etwas schwach; aber darauf scheißen wir beide.
  9. Eric Melvin (*1966) – Er ist der Gitarrist der (Skate-/Ska-/Street-)Punk(-Rock)-Band NoFX. Der Name ist eine Verbeugung vor der StraightEdge geprägten Punkbandlegende Negative FX. Es weist auf die Ursprünglichkeit des musikalischen Prozesses: No Effects.
  10. Jack White (*1975) – Der jüngste in meiner Liste ist wohl heute bei Menschen unter 30 der bekannteste Name. Seine Band The White Stripes hat mit dem Megahit Seven Nation Army nicht nur Musik- sondern auch Fußballgeschichte geschrieben. Oder kann sich noch irgendjemand eine Spiel (z.B. morgen) vorstellen, ohne das notorische Oh-ah-ah-ah-Oh-Oh?