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Exakte Übereinstimmung der Attitüden

Auf der Website von Vestoj – the plattform for critical thinking on fashion las ich heute einen Artikel aus der Ausgabe #6 On Failure über den Zigeuner-Look. An dieser Stelle nutzt auch die gebürtige Roma aus Rumänien im Englischen den Begriff Gypsy; denn es geht um den romantisch verklärten Blick auf das lustige Zigeunerleben, das die Autorin dann kontrastiert mit den Realitäten in Rumänien und den anderen Ländern der EU. Es ist ein sehr lesenswerter Artikel, der aus den Werbebotschaften einiger Modehäuser zitiert und dies in einen gesamtgesellschaftlichen Kontext stellt. Ich habe in dem Artikel neue Worte kennengelernt, wie den Gypset, den Bloomingdale erfunden haben soll. In einer Anzeige im New Yorker heißt es wörtlich: Are you a gypset? Part Gypsy, part Jet Set, all chic?

Auf die Zigeuner haben wir schon immer aus zwei sehr unterschiedlichen Perspektiven gesehen. Das Wildromantische fasziniert uns, die Unabhängigkeit, die heiße Liebesglut. Doch wer möchte mit echten Zigeunern umgehen? – Da ist es ganz egal, ob es sich um Angehörige der Sinti und Roma handelt, Jenische, moderne Schausteller oder mexikanische Wanderarbreiter auf US-amerikanischen Obstplantagen; sie alle könnte man für Zigeuner halten, sie alle können als Projektionsfläche für unsere ungelebten Träume dienen, und wir wollen sie alle nicht in unseren echten Leben haben.

Die Bewunderung ist alt: das Zigeunerschnitzel mit Zigeunersauce existiert bereits über hundert Jahre. Den Zigeuner-Look soll es dem Artikel nach seit den 60er Jahren geben. Sogar im modernen Arbeitsalltag orientieren wir uns am Ideal des Zigeuners. Das Leben und Arbeiten als Digitaler Nomade – nur mit einem Laptop bewaffnet in einem Café sitzend – scheint uns das Paradies unter den Erwerbsarten.

Doch die Bigotterie unserer Gesellschaft sollte gar nicht das Thema dieses Blog-Eintrags werden. Der Artikel ist nur der Aufhänger für ein anderes Thema. Er wurde illustriert mit einer Arbeit der Fotografen Ari Versluis und Ellie Uyttenbroek: Zwölf ältere Zigeunerfrauen. Man ahnt, dass das, was diese authentisch tragen, nicht der Zigeuner-Look der Modebranche ist.

Ari Versluis und Ellie Uyttenbroek stammen aus den Niederlanden und erstellen bereits seit 1998 sogenannte Exactitudes. Das Wort ist eine Neuschöpfung aus Exact Attitudes. Die beiden Künstler staffieren ihre Modelle nicht aus. Sie porträtieren Menschen in ihrer typischen Bekleidung, achten allerdings auf eine bestimmte Haltung, sortiert nach ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Berufsgruppe, Subkultur, Modewelle. Es entstehen überwältigende Porträtreihen, die einen das Wort Individualismus vergessen lassen.

Ist es so einfach, mich einer Gruppe zuzuordnen? Warum sieht man es selbst nicht so klar wie die anderen? Eltern bemerken den Wandel der Teenager-Kinder von „normalen“ Menschen zu Fans einer bestimmten Band, eines Musikstils oder anderer Unterscheidungsmerkmale. Der Teenager fühlt sicherlich beides, den vermeintlich ausgedrückten Individualismus im Vergleich zur angenommenen oder tatsächlichen Konformität in der Schulklasse, sowie das Erfüllen eines Dresscodes, um von der ersehnten Gruppe aufgenommen zu werden. Wie gesagt, er fühlt es; aber ganz und gar bewusst ist es ihm nicht.

Ich kenne einige der Arbeiten schon seit fast zwei Jahren. Heute sind sie mir wieder über den Weg gelaufen. Darüber freue ich mich. Ein Besuch ihrer Website ist auf jeden Fall lohnenswert.

Links
http://vestoj.com/dressing-like-a-gypsy/
http://www.exactitudes.com/
http://www.flatlandgallery.com/artists/exactitudes/