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90 Jahre „Röhm-Putsch“

Heute jährt sich zum 90. Mal das innerparteiliche Morden der NSdAP, das zum vermeintlichen Abwenden des erdachten Röhm-Putsches als Nacht der langen Messer in die Propaganda-Erzählungen von Goebbels und Konsorten eingehen sollte.

Der Hauptmann Ernst Röhm war der Führer der SA und war nach einigen mittleren Skandalen allgemein als Homosexueller bekannt. Erst hatte sich Hitler noch vor seinen Hauptmann gestellt, als man seine privaten Briefe veröffentlicht hatte. Doch am 30. Juni 1934 ließ man ihn fallen und am gleich am Folgetag hinrichten. Tatsächlich finde ich den Röhm ähnlich uninteressant wie Hitler und neuere Personen der aktuellen Tagespolitik.

Spannend und gleichzeitig beschämend war und ist, wie sich die Linke in der Weimarer Republik und dem restlichen Europa zu den Vorkommnissen verhielt. Schon damals forderten einige progressive Kräfte die Streichung des Paragraphen 175 aus dem Strafgesetzbuch, der Homosexualität kriminalisierte. Als aber der SA-Führer geoutet wurde, nutzte man dies, um in Texten und Karikaturen die Nazis als Gruppe schwuler Triebtäter darzustellen.

Als Beispiel soll ein Gedicht von Bertolt Brecht dienen, welches im Dezember 1932 von Ernst Busch aufgenommen und im Januar 1933 veröffentlicht und im März bereits verboten wurde. Es ist allgemein von so bestechend naiv-überheblicher Hoffnung getragen, dass es einem ganz kalt im Herzen wird, es heute mit der aktuellen politischen Lage in der Welt zu hören.

Der Führer sagt: Jetzt kommt der letzte Winter,
nur jetzt nicht schlapp gemacht, ihr müsst marschier’n!
Der Führer fährt voran im Zwölfzylinder.
Marsch, Marsch! ihr dürft die Fühlung nicht verlier’n!

Es ist ein langer Weg zum Dritten Reiche.
Man soll’s nicht glauben, wie sich das zieht.
Es ist ein hoher Baum die deutsche Eiche,
von der aus man den Silberstreifen sieht.

Der Führer sagt: Nur nicht in Lumpen laufen!
Er hat’s ja schon gesagt der Industrie:
Wir wollen neue Uniformen kaufen.
Der Hauptmann Röhm liebt uns nicht ohne die.

Es ist ein langer Weg zum Dritten Reiche
Ein bißchen Liebe macht ihn halb so schwer.
Es ist ein hoher Baum die deutsche Eiche.
Und kameradschaftlich sei der Verkehr.

Der Führer hat gesagt, er lebt noch lange,
und er wird älter als der Hindenburg.
Er kommt noch dran, da ist ihm gar nicht bange.
Und drum pressiert’s ihm gar nicht und dadurch

ist es ein langer Weg zum Dritten Reiche.
Es ist unglaublich, wie sich das zieht.
Es ist ein hoher Baum die deutsche Eiche,
von der aus man den Silberstreifen sieht.

Text: Bertolt Brecht
Musik: „It’s a long way to Tipperary“ (Arrangement: Hanns Eisler)

Die besungenen Uniformen von SA, SS, Wehrmacht und Hitlerjugend wurden vom NSdAP-Mitglied Hugo Ferdinand Boss gefertigt. Maxim Gorki schrieb am 23. Mai 1934 in der Prawda: Ich weise jedoch darauf hin, dass in dem Lande, wo das Proletariat tapfer und erfolgreich wirtschaftet [der Sowjetunion], die die Jugend korrumpierende Homosexualität als sozial verbrecherisch und strafbar angesehen wird, während sie in dem ‚kultivierten‘ Land der großen Philosophen, Gelehrten und Musiker [in Deutschland also] frei und ungestraft waltet. Man hat sogar schon das sarkastische Sprichwort geprägt: „Rottet die Homosexualität aus – und der Faschismus verschwindet.“

Ja, es gäbe noch so vieles zu schreiben über all die Verwicklungen und Verquickungen – doch das überlasse ich Berufeneren wie z.B. dem Soziologen Alexander Zinn mit seinem Buch Die soziale Konstruktion des homosexuellen Nationalsozialisten.

Während in der sozialdemokratischen Exilzeitung Volksstimme Ende 1934 behauptet wird, die NSdAP geradezu zur Bewegung der Homosexuellen geworden sei, veröffentlicht Klaus Mann am 24. Dezember 1934 in den Europäischen Heften in Prag seinen Text Die Linke und ‚das Laster‘ einen kritischen Text und mahnt, dass „der Homosexuelle“ im antifaschistischen Europa zu einem ähnlichen Sündenbock stilisiert werde wie „der Jude“ im faschistischen Deutschen Reich.

Link
https://www.queer.de/detail.php?article_id=38595Auf queer.de gibt es einen interessanten Artikel zum 90. Jahrestag der Veröffentlichung von Röhms Briefen am 14. April 1931.

75 Jahre Kriegsende

Heute vor 75 Jahren endete der Zweite Weltkrieg. Einige Rückwärtsgewandte versuchen sich darin, den heutigen Tag erneut nationalistisch auszudeuten. Das lehne ich entschieden ab. Ich werde keinen langen Text zu der Bedeutung des Kriegsende verfassen. Das haben berufenere Geister bereits so viel besser getan. Ich zitiere hier den ersten Teil der historischen Rede vom 8. Mai 1985 durch unseren damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker:

Viele Völker gedenken heute des Tages, an dem der Zweite Weltkrieg in Europa zu Ende ging. Seinem Schicksal gemäß hat jedes Volk dabei seine eigenen Gefühle. Sieg oder Niederlage, Befreiung von Unrecht und Fremdherrschaft oder Übergang zu neuer Abhängigkeit, Teilung, neue Bündnisse, gewaltige Machtverschiebungen – der 8. Mai 1945 ist ein Datum von entscheidender historischer Bedeutung in Europa.

Wir Deutsche begehen den Tag unter uns, und das ist notwendig. Wir müssen die Maßstäbe allein finden. Schonung unserer Gefühle durch uns selbst oder durch andere hilft nicht weiter. Wir brauchen und wir haben die Kraft, der Wahrheit so gut wir es können ins Auge zu sehen, ohne Beschönigung und ohne Einseitigkeit.

Der 8. Mai ist für uns vor allem ein Tag der Erinnerung an das, was Menschen erleiden mußten. Er ist zugleich ein Tag des Nachdenkens über den Gang unserer Geschichte. Je ehrlicher wir ihn begehen, desto freier sind wir, uns seinen Folgen verantwortlich zu stellen.

Der 8. Mai ist für uns Deutsche kein Tag zum Feiern. Die Menschen, die ihn bewußt erlebt haben, denken an ganz persönliche und damit ganz unterschiedliche Erfahrungen zurück. Der eine kehrte heim, der andere wurde heimatlos. Dieser wurde befreit, für jenen begann die Gefangenschaft. Viele waren einfach nur dafür dankbar, daß Bombennächte und Angst vorüber und sie mit dem Leben davongekommen waren. Andere empfanden Schmerz über die vollständige Niederlage des eigenen Vaterlandes. Verbittert standen Deutsche vor zerrissenen Illusionen, dankbar andere Deutsche vor dem geschenkten neuen Anfang.

Es war schwer, sich alsbald klar zu orientieren. Ungewißheit erfüllte das Land. Die militärische Kapitulation war bedingungslos. Unser Schicksal lag in der Hand der Feinde. Die Vergangenheit war furchtbar gewesen, zumal auch für viele dieser Feinde. Würden sie uns nun nicht vielfach entgelten lassen, was wir ihnen angetan hatten?

Die meisten Deutschen hatten geglaubt, für die gute Sache des eigenen Landes zu kämpfen und zu leiden. Und nun sollte sich herausstellen: Das alles war nicht nur vergeblich und sinnlos, sondern es hatte den unmenschlichen Zielen einer verbrecherischen Führung gedient. Erschöpfung, Ratlosigkeit und neue Sorgen kennzeichneten die Gefühle der meisten. Würde man noch eigene Angehörige finden? Hatte ein Neuaufbau in diesen Ruinen überhaupt Sinn?

Der Blick ging zurück in einen dunklen Abgrund der Vergangenheit und nach vorn in eine ungewisse dunkle Zukunft.

Und dennoch wurde von Tag zu Tag klarer, was es heute für uns alle gemeinsam zu sagen gilt: Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung. Er hat uns alle befreit von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft.

Niemand wird um dieser Befreiung willen vergessen, welche schweren Leiden für viele Menschen mit dem 8. Mai erst begannen und danach folgten. Aber wir dürfen nicht im Ende des Krieges die Ursache für Flucht, Vertreibung und Unfreiheit sehen. Sie liegt vielmehr in seinem Anfang und im Beginn jener Gewaltherrschaft, die zum Krieg führte.

Wir dürfen den 8. Mai 1945 nicht vom 30. Januar 1933 trennen.

Wir haben wahrlich keinen Grund, uns am heutigen Tag an Siegesfesten zu beteiligen. Aber wir haben allen Grund, den 8. Mai 1945 als das Ende eines Irrweges deutscher Geschichte zu erkennen, das den Keim der Hoffnung auf eine bessere Zukunft barg.

Die vollständige Rede kann hier nachgelesen werden: https://www.bundespraesident.de/

Wer nicht selber lesen möchte, sondern stattdessen den historischen O-Ton genießen, kann die Aufzeichnung der Rede auch – von tagesschau.de bereitgestellt – sehen:

Von Katzen und Fischen

Kritische Würdigung einer fatalen Bemerkung

Nun ist es schon einen Monat her, dass der Ex-Bundestagsabgeordnete und Kreisvorsitzende der CDU Leipzig Dr. Thomas Feist am 1. März 2020 zur zweiten Runde der Leipziger Oberbürgermeisterwahl im Wahlstudio des Leipzig Fernsehen interviewt wurde. Nun, ich arbeite nicht für eine Tageszeitung. Ich darf mir die Zeit nehmen, über solche Ereignisse ein wenig länger nachzudenken. Und während des Corona-Lockdowns umso mehr.

Im nicht gerade inhaltsvollen Wahlkampf Sebastian Gemkows las man immer wieder den Slogan „Ein Leipziger für Leipzig“, der suggerieren sollte, dass der amtierende und nun auch zum dritten Mal gewählte Oberbürgermeister Burkhard Jung kein richtiger Leipziger sei. Danach gefragt, antwortete Dr. Feist mit dem unseligen Satz: „Es gibt den schönen Spruch: Wenn eine Katze im Fischladen Junge bekommt, sind das dann Fische?“

Weiter führte er aus: „Also, insofern denke ich mal, dass jemand, der hier aufgewachsen ist, der die Geschichte der Stadt hautnah miterlebt hat, hat nochmal ein anderes Verhältnis zur Stadt, als jemand, der erst seit 29 Jahren hier lebt, auch wenn der mittlerweile Leipziger sein mag.“

Nachdem der Moderator auf sein ganz persönliches Leipziger-Sein nach einem Zuzug vor zehn Jahren verwiesen hatte, klärte uns Feist weiter auf: „Die Geschichte Leipzigs fängt ja nicht vor zehn oder vor 29 Jahren an. Sondern die Geschichte Leipzigs fängt ja vorher an.“

Eigentlich sollte ich mich gar nicht sachlich auf dieses Argument einlassen. Um aber zu zeigen, wie absurd es tatsächlich ist, möchte ich die Lebensdaten beider Kandidaten mal nebeneinanderstellen.

Burkhard Jung wurde 1958 in Siegen geboren, absolvierte 1977 sein Abitur und studierte in Münster Germanistik und Evangelische Theologie. 1991 kam er 33-jährig nach Leipzig, um als Schulleiter das evangelische Schulzentrum aufzubauen. 2000 trat Jung, mittlerweile 42 Jahre alt, in die SPD ein. Er ist also länger Leipziger als eingeschriebener Sozialdemokrat. Bereits 1999 wurde Jung Beigeordneter der Stadt Leipzig für Jugend, Schule und Sport (seit April 2001 Beigeordneter für Jugend, Soziales, Gesundheit und Schule). Nachdem Wolfgang Tiefensee im November 2005 seinen Posten als Stadtoberhaupt zur Verfügung stellte, um selbst Bundesverkehrsminister zu werden, wurde Burkhard Jung, gerade noch 47 Jahre alt, zum neuen Leipziger Oberbürgermeister gewählt. Seit 2019 ist Jung Präsident des Deutschen Städtetages. Burkhard Jung ist nun 62 Jahre alt. 29 Jahre davon hat er in Leipzig gelebt. Und es sind die tätigen Jahre.

Sebastian Gemkow wurde 1978 in Leipzig geboren. Zum Fall der Mauer war Gemkow elf Jahre alt, ein Kind. Sein Abitur legte er 1997 an der Neuen Nikolaischule in Stötteritz ab, die 2012 ihr 500-jähriges Bestehen feierte, tatsächlich aber eine Neugründung bzw. Zusammenlegung von 1995 ist. Er trat 1998 in die CDU ein, studierte Rechtswissenschaften in Leipzig, Hamburg und Berlin und ließ sich 2006 als Rechtsanwalt in Leipzig nieder. 2009 zog er in den Sächsischen Landtag ein, mit einem Rekordergebnis. Er errang mit 28,5 % den damals niedrigsten Erststimmenanteil aller Wahlkreiskandidaten, die letztendlich das Mandat erhalten hatten. Der Wahlkreis Leipzig 2 ist ein hart umkämpfter und seit zwei Legislaturen in der Hand der Linken. 2014 gewann er knapp den Wahlkreis Leipzig 4 und wurde Sächsischer Staatsminister der Justiz. 2019 schließlich ließ er sich für den Wahlkreis Nordsachsen 2 aufstellen und wurde Sächsischer Staatsminister für Wissenschaft. Er ist mit einer Estin verheiratet und seit 2014 Honorarkonsul der Republik Estland. Sebastian Gemkow wird im Sommer 42 Jahre.

Über beide Kandidaten der OBM-Wahl 2020 in Leipzig lässt sich übereinstimmend sagen, dass sie augenscheinlich Vollblutpolitiker sind, die sich nicht vor Verantwortung scheuen. Man kann auch beiden nicht vorwerfen, sie wären nur Politiker geworden, weil sie nichts Anständiges gelernt hätten. Beide sind gut vernetzt. Beide sind in einem regulären arbeitsfähigen Alter. Beide sind verheiratet und haben Kinder. Die letzten zwei Punkte sind eigentlich nicht entscheidend für das Amt; aber es wird mit Blick auf das zur Diskussion stehende Zitat noch wichtig sein.

Was ist denn nun – abgesehen von Parteizugehörigkeit, Persönlichkeit und daraus resultierender persönlicher Sympathie – der Unterschied zwischen den beiden? Die Mutter des einen schob ihren Sohn im Kinderwagen durch Siegen, die Mutter des anderen tat dies in Leipzig. 1996 wurde Sebastian Gemkow volljährig. Da lebte Burkhard Jung bereits fünf Jahre in Leipzig. Der einzige Unterschied im Grad an Leipziger-Sein zwischen Jung und Gemkow, sind die ersten 13 Jahre im Leben des Herausforderers. Oh, da hätte sich einer aber zwei Staatsexamen sparen können, hätte er damals schon gewusst, dass ihn seine Kindheit einst entscheidend qualifizieren werde!

Kommen wir zurück zum Abend des 1. März 2020 und dem fatalen Satz des Dr. Feist: „Es gibt den schönen Spruch: Wenn eine Katze im Fischladen Junge bekommt, sind das dann Fische?“

Ganz offensichtlich setzt er sowohl Katzen als auch Fische mit Menschen gleich; mit Menschen unterschiedlicher Herkunft. Nun wollte Dr. Feist sicherlich Herrn Jung etwas Scherzhaft als Zugezogenen, als Unhiesigen ausgrenzen vom wohlig-warmen Leipziger Stammtisch, an dem man nur Platz nehmen darf, wenn man die gesamte Leipziger Geschichte selbst miterlebt hat, von urkundlicher Ersterwähnung über Verleihung des Messeprivilegs bis zur Ausgründung des Volksgerichtshofs. Tatsächlich zielt der Satz aber auf die Kinder der zugezogenen Katze. Diese werden laut Dr. Feist auch niemals in Leipzig heimisch werden können, da ihr Vater ein Zugezogener ist. Wow! Das ist starker Tobak.

Deutsche Staatsbürger mit einem Migrationshintergrund mögen nun milde lächeln. Das kennen sie aus ihrem Alltag. Beispielsweise die Kinder einer Schwarzen, welche bereits die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt, sind von ihrer Geburt an natürlich auch Deutsche. Aber sie werden sich genauso natürlich mit ihrer Hautfarbe von der Mehrheitsgesellschaft unterscheiden, sodass sie wahrscheinlich ihr gesamtes Leben lang gefragt werden, wo sie denn wohl eigentlich herkämen. Manchmal mag man es erklären wollen. Meistens wird es nerven. Der Fragende mag auf das äußerliche Merkmal der Hautfarbe verweisen. Und die Statistik gibt ihm erstmal recht: Die Mehrheit der Deutschen ist weiß. Die Mehrheit der Schwarzen ist nicht deutsch. Eine höfliche Frage nach der Herkunft scheint berechtigt.

Innerhalb Deutschlands soll es keinen relevanten Unterschied nach regionaler Herkunft geben. Deshalb wurde – neben dem Diskriminierungsverbot in Artikel 3, Satz 3 – die Freizügigkeit mit Artikel 11 als ein Grundrecht aller Deutschen unveränderlich verankert. Und für die EU ist das in Artikel 45 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union geklärt. Weiterhin behandelt dies auch der Artikel 13 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948, ohne hier auf staatsrechtliche Details einzugehen.

Was ist das nur für ein altvorderes Denken, wenn man nun jemanden, der seine Freizügigkeit nutzt, vor Ort als einen Bürger zweiter Klasse behandelt, weil er nicht dort geboren wurde? Schränkt das die Freizügigkeit nicht ein, weil man seinen Status als gleichberechtigter Bürger verliert? Ist denn nun jeder, der aus seinem Heimatdorf aufbricht, sei es nur, um das Inzesttabu zu wahren, ein „vaterlandsloser Geselle“? Ist man innerhalb Deutschlands nach einmaligem Umzug bis zu seinem Lebensende der Neue oder der Fremde? Und soll sich das sogar, wie das Bild von der Katze und den Fischen unterstellt, auf die Kinder des Neuen, die Kinder des Fremden übertragen?

Seit März 2019 ist Dr. Feist der sächsische Beauftragte für das jüdische Leben. Damit ist er der offizielle Ansprechpartner für jüdische Gemeinden im Freistaat. Außerdem berät er die Landesregierung zu Fragen der Pflege des historischen Erbes und die Erinnerung an den Holocaust.

Nachdem die Heidenchristen in der frühen Kirche das Ruder übernommen hatten, galten der Mehrheitsbevölkerung des Römischen Reiches und später Europas die Juden als ein störender Fremdkörper. Aus der Spätantike sind nicht nur die Zerstörungen von Synagogen, sondern auch erzwungene Massentaufen überliefert. Nun sind diese Taten natürlich nicht zu rechtfertigen, aber man kann doch sehen, dass sie auf eine – erzwungene – Integration der jüdischen Bevölkerung abzielten.

Das änderte sich über das Mittelalter und die frühe Neuzeit in Schüben. Im Vormärz erkannte Heinrich Heine im Taufzettel das Entre Billet zur Europäischen Kultur, sieht sich aber sein ganzes Leben vom nie abzuwaschenden Juden verfolgt. Er schwärmt, dass ihm das Deutsche das sei, was dem Fisch das Wasser ist, und dass er aus diesem Lebenselement nicht herauskönne. Gleichzeitig gesteht er, alles Deutsche wirke auf ihn wie ein Brechpulver.

Konkret wurde Heine in Göttingen die Mitgliedschaft in einer Burschenschaft verweigert, da Juden, als solche, kein Vaterland hätten und für das deutsche Vaterland kein Interesse haben könnten. Trotz Taufe 1825 wird Heine nicht in Hamburg als Rechtsanwalt zugelassen, nicht in München zum Professor berufen und – erneut in Hamburg – nicht zum Ratssyndikus ernannt. Literarisch sah er sich von August Graf von Platen verächtlich gemacht und als knoblauchfressender Jude diffamiert, während dieser seiner Homosexualität wegen lieber im italienischen Exil lebte.

Heinrich Heine war schon 23 Jahre tot, als schließlich Wilhelm Marr 1879 mit seiner Schrift Der Sieg des Judenthums über das Germanenthum den Begriff des Antisemitismus prägte. Im Trend der Säkularisierung sowohl unter vormals christlichen als auch jüdischen Gruppen wäre eine Taufe kein Zeichen der Anpassung und Integration gewesen. Also zielte Marr auf die absurde Idee einer jüdischen Rasse ab. Wie es von dort aus weiterging, steht in unseren Geschichtsbüchern. In den Nürnberger Rassengesetzen von 1935 legten die Nationalsozialisten genau fest, wer als ein Jude zu gelten hatte oder als Deutschblütiger. Mischlingen war die Ehe nur unter bestimmten Voraussetzungen gestattet.

Die Deutschen Christen erklärten 1932 vorauseilend, dass sie in der Judenmission eine schwere Gefahr für ihr Volkstum sähen. Sie sei das Eingangstor fremden Blutes in ihren Volkskörper. Sie lehnten die Judenmission in Deutschland ab, solange die Juden das Staatsbürgerrecht besäßen und damit die Gefahr der Rassenverschleierung und Bastardierung bestünde.

In Leipzig stolpert man heute in den Straßen über mehr als 500 kleine Gedenksteine. Jeder einzelne führt uns vor Augen, wohin Ausgrenzung und Hass in letzter Konsequenz führen.

Der Satz, den Dr. Feist am 1. März 2020 von sich gab, hat eine Reihe von Reaktionen ausgelöst. Henning Homann, der Generalsekretär der SPD Sachsen, antwortete am folgenden Tag, dass Leipzigern ihr Leipziger-Sein abzusprechen, nicht nur unwürdig sei; es zeige auch, wie wenig er eine wachsende, internationale Stadt verstanden habe, obwohl er dort geboren sei. Solche Sprüche taugten vielleicht für den Stammtisch, aber selbst im Fischladen und erst recht im Rathaus sorgten sie nur für Kopfschütteln.

Auf Twitter, wo Dr. Feist als „Freiberuflicher Netzwerker, Beauftragter für Jüdisches Leben in Sachsen.“ firmiert, legte er am 2. März mit zwei weiteren Tweets nach. Erst verwies er auf ein YouTube-Video; ein Ausschnitt aus einem Programm von Eberhard Cohrs und Horst Feuerstein aus dem Jahre 1964 mit der Bemerkung: „Katzen und Fische. Kennt ihr nicht, ihr Kulturbanausen?“ Und danach schloss er für sich die Affäre ab mit dem Tweet: „Ein Leipziger für Leipzig“ ist etwas anderes als „Deutschland den Deutschen“. Wer beides gleichsetzt unterstellt böswillig etwas Falsches. Scheint aber leider gerade in Mode zu sein. #lasttweet [Kommasetzung wie im Original]

Über den als Beleg herangezogenen Sketch von Eberhard Cohrs wird noch zu sprechen sein. Interessant ist aber auch, wer dieses Video bei YouTube bereithält. Das Konto trägt den Benutzernamen Saebelzahnbiber. Der Sketch wurde bereits vor neun Jahren von ihm hochgeladen. Im Sommer 2015 hat der Nutzer das letzte Mal Videos auf YouTube gestellt. Die Titel der jüngsten drei Videos sind: „Mohammedaner tötet Lebensgefährtin mit Messer“, „Bosnischer Moslem tötet 3 Menschen im Ramadan in Graz“ und „Arbeitslose Deutsche reparieren in Bamberg Fahrräder für Fachkräfte…“ [gemeint sind Asylbewerber]. Nachdem sich Dr. Feist also dem Vorwurf der Fremdenfeindlichkeit, des Rassismus und der Nähe zur Blut-und-Boden-Mentalität ausgesetzt sah, wählte er zur Verteidigung den Saebelzahnbiber als Gewährsmann. Nun, es gab wohl schon glücklichere Entscheidungen.

Man muss natürlich vorsichtig sein. Vor der Kamera soll ein Politiker schnell und pointiert liefern. Und der Zuschauer zuhause kann später genau analysieren, warum er dieses Mal entrüstet ist. Und in dem schließlich aufkommenden Shitstorm wird man ohnehin früher oder später mit Hitler verglichen. Der Rechtsanwalt Mike Godwin hat dies 1990 in einem Godwins Gesetz genannten Bonmot zusammengefasst: „Mit zunehmender Länge einer Online-Diskussion nähert sich die Wahrscheinlichkeit für einen Vergleich mit den Nazis oder Hitler dem Wert Eins an.“

Aber die menschenverachtende Ideologie der Nationalsozialisten ist eben der Gipfel eines Denkens, das aus Herkunft von Menschen Qualitätsabstufungen – und damit Wertigkeiten des Lebens – aufstellt. Vielleicht ist sie sogar ihre logische Konsequenz. Und deshalb müssen wir auch so entschieden ihren Anfängen wehren.

Außerdem hat sich – quasi als Gegenbewegung zu Godwins Gesetz – etabliert, dass man seine Rede mit einem bestimmten Vorsatz beginnt: „Ich bin kein Rassist, aber …“ erlaubt einem heutzutage, jeden rassistischen Scheiß in die Welt zu posaunen. Eine Deutung in kritischer Richtung hat der Redner zuvor einfach selbst ausgeschlossen.

Doch woher kommt die Redewendung von der Katze im Fischladen überhaupt? Und was bedeutet sie ursprünglich? Sie ist, um das Offensichtliche doch einmal aufzuschreiben, nicht geprägt worden, um Menschen nach ihrem Geburtsort zu unterscheiden.

Die Katze ist als Kulturfolger dem Menschen lang bekannt und hilft diesem, seine Wohn- und Werkstatt von Ungeziefer freizuhalten. Dafür muss der Mensch sich um die Ernährung der Katze und ihres Nachwuchses in kargeren Zeiten kümmern. Von den Ägyptern wurden Katzen als Götter verehrt. Eine Unzahl von Facebook-Posts lässt erahnen, dass sich an diesem Status über die Jahrtausende nur wenig geändert hat.

Eine gute Idee ist der Blick in das Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten, welches der Volkskundler und Erzählforscher Lutz Röhrich 1973 herausgegeben hat. Katzen sind in den deutschen Redewendungen allgemein Sympathieträger. Aber ein Mensch möchte trotzdem nicht gern wie eine Katze behandelt werden und vom Boden essen müssen, sprich vom Katzentisch. Und manchmal tritt die Katze in Konkurrenz zum Menschen: „Das soll mir keine Katze fressen“ bedeutet, den Happen hebe ich mir für später auf. Gibt man den Happen aber auf, ist er für die Katz. Auf die Ausrede „die Katze hat’s gefressen“ lautet eine gewitzte Antwort: „Ja, die mit zwei Beinen.“ Wenn eine menschliche Naschkatze krank wird, bemerkt die Mutter: „Die Katze mag die Fische nicht.“

Wer den Bock zum Gärtner macht, hat der Katze den Hering anvertraut. Das sollte man nicht tun, niemals, oder doch erst dann, wenn die Katze Eier legt. Denn eine Katze lässt das Mausen nicht.

Der Fisch, besonders der Hering, steht in Redensarten öfters als Bild des Geringwertigen und Kleinen. Ein dürrer oder intellektuell substanzloser Mensch ist ein schmaler Hering. Zu Ostern, am Ende der Fastenzeit, sieht man aus wie ein ausgeweideter Hering. Wessen Erfolgsaussichten gering sind, wird hier keinen Hering braten.

Heringe sind eine weitverbreitete Fastenspeise und allgemein Hauptnahrungsmittel in vielen Klöstern. Abraham a Sancta Clara lässt im 17. Jahrhundert in seinem „Judas“ Menschen gleich Heringen aufeinander liegen. Das ist bis heute nicht nur als bildhafte Sprache mit Ölsardinen oder Kieler Sprotten üblich. Otto von Bismarck, der den Hering so sehr liebte, dass man später einen nach ihm benannte, war sich sicher: „Wenn Heringe genau so teuer wären wie Kaviar, würden ihn die Leute weitaus mehr schätzen.“

Doch schon allein der Geruch von Fisch lässt einen nichts Gutes erahnen. Daher antwortete Martin Luther auf Ausreden, Lügen oder allgemein verdächtige Sachen: „Bleib daheim mit deinen faulen Fischen!“ Wenn ich nun die Wahl hätte, durch welches Tier ich in einer Redewendung dargestellt werden wollte, ich zöge deutlich die Katze dem Fisch vor.

Lutz Röhrich schreibt in seinem Lexikon – leider ohne einen Verweis auf Region oder Zeitalter: Auf etwas Unmögliches weist die Wendung „Die Katze im Fischladen bringt auch keine Heringe zur Welt“, d.h. das ist zu viel verlangt.

Man könnte es so verstehen, dass ein Fischhändler einen Lieferanten seiner Waren braucht und eine Katze, um das Ungeziefer fernzuhalten. Aber beides von einer Katze zu verlangen, ist eben zu viel. So könnte man es dann auch auf Menschen übertragen: Wenn du mit einem Freund über ernste Dinge sprichst, beschwere dich nicht, dass du nicht mit ihm lachen kannst. So wird ein Schuh daraus. Eine englische Entsprechung wäre vielleicht: You can’t have a cake and eat it, too (Man kann nicht den Kuchen behalten und gleichzeitig aufessen).

Nun beruft sich der Kulturwissenschaftler Dr. Feist aber auf diesen Sketch aus dem Jahre 1964 mit Eberhard Cohrs und Horst Feuerstein. In der kleinen Szene geht es zu Beginn um ein Formular, das die von Cohrs gespielt Figur angeleitet von seinem Antagonisten auszufüllen hat. In Dresden sei er geboren, sagt Cohrs und spielt dabei auch sich selbst. Darauf meint Feuersteins Charakter, er könne ja schreiben, dass er ein Sachse sei. Das verneint Cohrs nun. Da seine Eltern aus Köln stammten und Rheinländer seien, müsse er ja auch ein Rheinländer sein und kein Sachse. Der Streit geht noch einige Zeit hin und her, bis zu der Pointe aus dem Munde Cohrs: Mensch, wenn ’ne Katze im Fischgeschäft Junge kriegt, sind’s doch keine Heringe!

Dies ist nach meinen Recherchen das erste Mal, dass diese sprichwörtliche Redensart eins zu eins auf einen Menschen angewendet wurde. Warum ist nun dieser Sketch lustig, der Ausspruch des Dr. Feist aber immer noch ein Skandal?

Zunächst gibt es selbstverständlich einen grundlegenden Unterschied zwischen einem Künstler auf der Bühne und einem Politiker im Mediengespräch. Weiterhin wendet Cohrs diesen Satz auf sich selber an, Dr. Feist aber auf einen anderen. Der dritte und entscheidende Punkt ist die Sprache. Cohrs spricht diesen Satz in tiefstem Sächsisch und widerlegt seine Aussage damit unmittelbar. Es mag sein, dass seine Eltern Rheinländer sind. Wer aber in Dresden geboren und aufgewachsen ist, zudem ein solches Sächsisch spricht, der ist definitiv kein Rheinländer. Das von sich immer noch zu behaupten, ist das Absurde, was den Sketch so witzig sein lässt. Zum Zitat eignet sich der Satz aber nicht. Denn seine direkte, semantische Aussage ist nicht, was Eberhard Cohrs uns tatsächlich damit sagen wollte.

Eberhard Cohrs ist im Übrigen auch eine schillernde Persönlichkeit. Sein Vater kam aus Uelzen und seine Mutter aus dem Vogtland. Er selbst wurde 1921 in Dresden geboren. Im Dritten Reich war er Mitglied der Waffen-SS und gehörte zur Wachmannschaft des KZ Sachsenhausen. Im November 1945 absolvierte er seine Komikerprüfung vor der Internationalen Artisten-Loge. 1977 kehrte er nach einem Gastspiel in der Bundesrepublik nicht in die DDR zurück. Im Westen hatte er trotz namhafter Unterstützung kein Fernsehglück, da das Publikum sein Sächsisch nicht verstand. Nach der Wende ging er in den Osten zurück und arbeitete unter anderem für den MDR. In die Schlagzeilen geriet er ein Jahr vor seinem Krebstod 1999, weil er im Rausch seine Frau mit sieben Schüssen lebensgefährlich verletzt hatte.

Doch zurück zur Redewendung von der Katze im Fischladen, die seit 1964 eine beachtliche Karriere im rechtsnationalen Milieu hingelegt hat. In einer Ausgabe des Spiegels von 1977 findet sich ein Interview mit Martin Webster, einem führenden Mitglied der britischen Nationalen Front. Er möchte Britanniens Farbige vertreiben, weil sie seiner Ansicht nach nicht auf seine Insel gehörten. Auch wer seit Generationen in England lebe, solle das Land wieder verlassen, wenn er nicht zum ethnischen Grundstock seiner angelsächsisch-keltischen Rasse gehöre. Der Artikel endet pointiert mit der Begründung Websters: Wenn eine Katze Junge in einer Fischkiste kriegt, werden die dadurch keine Fische.

Zum Terroranschlag eines 18-Jährigen mit deutscher und iranischer Staatsbürgerschaft am 22. Juli 2016 in München twitterte Lutz Bachmann am Tag darauf: Deutsch-Iraner? Was ist denn das? Wenn ne Katze im Fischladen Junge bekommt sind’s dann „Karthäuser-Heringe“ oder was?

Als Dr. phil. mag man Herrn Feist zutrauen, Hintergründe und Konnotationen angemessen zu würdigen. Vielleicht sieht er doch irgendwann ein, welch fatalen Fehler er mit seiner launigen Bemerkung über Katzen und Fische begangen hat.

Dr. Feist steht der sächsischen Landeskirche nah. Wenn diese auch recht problematische Strömungen aufweist, lässt dies doch vermuten, dass er ebenfalls der Botschaft Jesu nicht ganz fern ist. Mir fällt in diesem Zusammenhang eine im Markusevangelium überlieferte Geschichte ein. Maria, die Mutter Jesu, kommt gemeinsam mit seinen Brüdern zu dem Haus, in dem Jesus gerade weilt, und lassen ihn herauszitieren.

Und das Volk saß um ihn. Und sie sprachen zu ihm: Siehe, deine Mutter und deine Brüder draußen fragen nach dir. Und er antwortete ihnen und sprach: Wer ist meine Mutter und meine Brüder? Und er sah rings um sich auf die Jünger, die im Kreise saßen, und sprach: Siehe, das ist meine Mutter und meine Brüder! Denn wer Gottes Willen tut, der ist mein Bruder und meine Schwester und meine Mutter. (Markus 3, 32–35)

Mir hat diese Erzählung schon immer imponiert. Und im Zusammenhang mit dem Missionsbefehl sind alle Menschen Brüder und Schwestern im Herrn. In diesem Sinne sehe ich in Thomas Feist ein verirrtes Schaf, dem ich nur allen Mut zur Umkehr wünschen kann.

Manch einer mag es übertrieben finden, über einen hingeworfenen Satz so lange nachzudenken. Immerhin ist schon ein ganzer Monat vergangen. Und heute haben wir doch ganz andere Sorgen als die Worte eines ehemaligen Bundestagsabgeordneten. Doch darauf möchte ich mit einem weiteren Zitat aus der Umgebung der Bibel (den Apokryphen des Alten Testaments) antworten:

Du umzäunst dein Hab und Gut mit Dornen; warum machst du nicht vielmehr vor deinen Mund Tür und Riegel? Du wägst dein Silber und Gold, bevor du es aufbewahrst; warum wägst du nicht auch deine Worte auf der Goldwaage? Hüte dich, dass du nicht dadurch ausgleitest und hinfällst vor denen, die auf dich lauern. (Sirach 28, 28–30)

Unser (Frankfurter, Leipziger, Weimarer) Johann Wolfgang von Goethe hat einmal gesagt – und da mag ein indisches Sprichwort Pate gestanden haben –, dass Kinder von ihren Eltern sowohl Wurzeln als auch Flügel bekommen sollten. Das ist natürlich nicht botanisch oder medizinisch zu verstehen. Es meint wohl, dass wir unsere Herkunft und unsere Vergangenheit nicht verleugnen oder gar vergessen sollen und dabei aber auch den Mut nicht verlieren dürfen, aufzubrechen und etwas Neues zu wagen.

Es gehört nämlich zu den Wundern unserer Welt, dass ein Migrant etwas Neues werden kann (z.B. ein Leipziger, ein Sachse, ein Deutscher), ohne aufzuhören etwas anderes zu sein (z.B. ein Siegener oder ein syrischer oder afghanischer Flüchtling).

Geburtstag des Widerstands

Wer meinem Blog folgt, weiß ja mittlerweile, dass ich gerne Geburts- und Todestage verschiedener Menschen in einen Zusammenhang stelle. Manchmal mit ganz erstaunlichen Ergebnissen. Ein guter Freund meinte mal, dass durch die vielen aufgezeichneten Geburtstage einfach immer fünf kombinierfähige Personen zu finden wären. Ich bemühe mich, diesem Vorwurf der Beliebigkeit zu entkommen.

Heute mache ich mir aber keine Sorgen. Denn meine heutige Auswahl an Geburtstagskindern wird jeden überraschen. Ich präsentiere eine Top-Five-Liste von Männern, die gegen das Naziregime gekämpft haben und an einem 11. März geboren wurden.

  • Caesar von Hofacker (1896–1944) – Er war nicht nur der Cousin von Claus Schenk Graf von Stauffenberg, sondern auch ein wichtiger Teil des 20. Juli 1944. Dem Nazi-Richter des Volksgerichtshofes Roland Freisler hielt er entgegen: Sie schweigen jetzt, Herr Freisler! Denn heute geht es um meinen Kopf. In einem Jahr geht es um Ihren Kopf! – Und er hätte neinahe Recht behalten, wenn jener nicht im Februar 1945 bei einem Luftangriff ums Leben gekommen wäre.
  • Albrecht von Hagen (1904–1944) – Auch er gehörte zu den Männern des 20. Juli 1944. Er war beim Oberkommando der Wehrmacht tätig. Seiner Frau schrieb er noch am Tag seiner Hinrichtung: Mit meinem Schicksal kann ich nicht hadern.
  • Helmuth James Graf von Moltke (1907–1945) – Er begründete den Kreisauer Kreis, die Keimzelle des militärischen Widerstands gegen Hitler. Er ist wohl neben Stauffenberg die bekannteste Person des militärischen Widerstands. Er soll Freisler entgegnet haben: Macht eine Legende aus uns!
  • Hanns-Gero von Lindeiner genannt von Wildau (1912–1984) – Der Stalingrad-Veteran wurde in der Folge des 20. Juli 1944 verhaftet aber nicht hingerichtet. Seit 1959 gehörte er als CDU-Mitglied dem Deutschen Bundestag an.
  • Benjamin Berell Ferencz (*1920) – Er kämpfte gegen die Nazis aus deutlich sicherer Position, war doch der damals 27-Jährige der jüngste leitende Staatsanwalt bei den Nürnberger Prozessen, genauer beim neunten der zwölf Prozesse, dem Einsatzgruppen-Prozess. Mit 90 Jahren erhielt er dafür das Große Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland.

Pikante Geburtstagspaare

Den Geburtstag sucht man sich nicht aus, auch wenn werdende Mütter oft das Gefühl haben mögen, der Nachwuchs versuche, bei dem angekündigten Geburtstermin kurzfristig doch noch mitzureden. Bei manchen historischen Geburtstagen habe ich den Eindruck, dass da zwei aufeinander gewartet haben – mal weil sie so gut zueinander passen und mal eben gerade nicht.

Also eine Top-Five-Liste von jeweils zwei Geburtstagskindern des 18. Dezember und was sie miteinander verbindet bzw. voneinander trennt:

  • Josef Wissarionowitsch Stalin (1878–1953) und Willy Brandt (1913–1992) – Das sind ja gleich zu Beginn solch historische Schwergewichte. Die kann meine Top-Five-Liste gar nicht fassen. Mit Stalin verbindet sich u.a. die Westverschiebung Polens und mit Brandt die Ostverträge und der Kniefall von Warschau.
  • Albin Köbis (1892–1917) und Hans Bernd August Gustav von Haeften (1905–1944) – Beide wurden hingerichtet. Beide stellten sich gegen ihre Regierung. Köbis kam für die Novemberrevolution gut ein Jahr zu früh. Von Haeften gehörte der Bekennenden Kirche an und stand dem Kreisauer Kreis nah. Nach dem 20. Juli 1944 wurde auch er gefangen genommen. Vor Gericht nannte er Hitler den großen Vollstrecker des Bösen.
  • Allen Klein (1931–2009) und Keith Richards (*1943) – Nicht im eigentlichen Sinne pikant, aber doch bemerkenswert. Der Manager und der Gitarrist der Rolling Stones haben am gleichen Tag Geburtstag. Pikant ist höchstens, dass Klein zeitweilig auch der Manager der Beatles war.
  • Stephen Bantu Biko (1946–1977) und Irja Askola (*1952) – Der eine begründete auf Grundlage der südamerikanischen Befreiungstheologie das Black Consciousness Movement in Südafrika. Die andere war die erste Bischöfin der Evangelisch-Lutherischen Kirche Finnlands und ordinierte als erste ein homosexuelles Paar zum Dienst in der Kirche.
  • Steven Allan Spielberg (*1946) und William Bradley Pitt (*1963) – Beide sind aus Hollywood nicht wegzudenken. Und ich mag eine ganze Reihe von Filmen von dem einen oder mit dem anderen. Aber wer kann mir einen Film nennen, in dem Brad Pitt die Hauptrolle unter der Regie von Steven Spielberg spielt?

Top-Five-Liste am heutigen Tag verstorbener Regisseure

Heute vor 63 Jahren starb Emil Nolde in Seebüll. Ich habe seine expressionistischen Bilder immer geliebt. Ich bin aufgewachsen mit der Vorstellung, dass Nolde als entarteter Künstler selbstverständlich zu Guten gehören musste. Erst viel später lernte ich, dass Nolde nicht nur der NSDAP angehört hatte, sondern dass er sich auch immer wieder deutlich antisemitisch geäußert hatte. Seinen Malstil lehnten die Nazis allerdings trotzdem ab.

Emil Nolde ist also neben Michael Jackson ein weiteres bzw. älteres Beispiel für die Frage, ob man Werk und Autor trennen könne. In gewisser Weise gibt es bei Nolde bereits eine Antwort: Seine Freunde trennten Werk und Autor. Sie hielten Nolde in den Reihen der Partei, ließen ihn aber nicht mehr seine Bilder ausstellen. Können, sollten, dürfen wir entsprechend umgedreht mit ihm verfahren? Oder sind seine Werke ebenso abzulehnen wie das Verhalten der Person?

Das werden wir mit einem kurzen Blogeintrag nicht lösen können. Dazu sind bereits dicke Bücher geschrieben worden und der Feuilleton versucht sich immer wieder dazu. Wir wenden uns daher einem anderen Thema zu, meinem Steckenpferd, den Top-Five-Listen.

Heute präsentiere ich eine Top-Five-Liste von Regisseuren, die an einem 13. April verstarben (in zeitlicher Reihenfolge):

  • Veit Harlan (1899–1964) – Mit Harlan sind wir noch nicht weit von Nolde weggekommen. Harlan ließ sich von seiner ersten Frau scheiden, weil sie Jüdin war. Sie wurde im KZ Auschwitz-Birkenau ermordet. Heute kennt man Harlan vor allem durch den Propaganda-Film Jud Süß, der bis heute nur mit fachlicher Begleitung gezeigt werden darf. Interessant ist aber auch die Geschichte um sein Spätwerk Anders als du und ich (§ 175) / Das dritte Geschlecht. Harlan ist über seine Nichte Christiane verschwägert mit Stanley Kubrick.
  • Lee Man-hee (1931–1975) – Bevor der Südkoreaner mit nicht mal 44 Jahren an Leberzirrhose starb, drehte er 51 Filme ganz unterschiedlicher Genres; darunter Horror, Thriller, Mystery, aber auch Kriegs-/Nachkriegsfilme. Late Autumn von 1966 erlebte in den Jahren 1972, 1975, 1982 und 2010 bereits vier Remakes.
  • Francisc Munteanu (1924–1993) – Der Rumäne kam vom Roman zum Drehbuch und schließlich selbst zum Regiestuhl. Der sonst Regimegetreue soll 1972 in Die Heilige Therese und die Teufel die erste komplette Nacktszene in einem sozialistischen Film gedreht haben.
  • József Gémes (1939–2013) – Hier wechseln wir deutlich das Genre. Er gilt als der bedeutendste Trickfilmzeichner/-regisseure Ungarns. Bekannt ist wohl besonders der Animationsfilm The Princess and the Goblin aus dem Jahre 1991 als internationale Koproduktion.
  • Miloš Forman (1932–2018) – Der gebürtige Tscheche ist uns heute als ein großer Mann aus Hollywood bekannt: Einer flog über das Kuckucksnest (1975), Hair (1979), Amadeus (1984), Mondmann (1999). Die werden bleiben!

Gedenktag der Maler

Heute ist für die meisten US-amerikanischen Protestanten der Gedenktag vieler wichtiger Maler: Albrecht Dürer, Lucas Cranach der Ältere, Matthias Grünewald und  Michelangelo. Warum das so ist, konnte ich nicht in jedem Fall ermitteln. Meist ist der Gedenktag der Todestag einer Person. Doch das gilt nicht für alle hier Genannten, während es weitere berühmte bildende Künstler gibt, deren Todestag heute ist ohne ein lutherischer Gedenktag zu sein.

Also muss eine Top-Drei-Liste her der heute gestorbenen bildenden Künstler (in zeitlicher Reihenfolge):

  • Raffael (1483–1520) – Er hat heute sowohl Geburts- als auch Todestag. Im Leben war er vor allem der Schönheit verpflichtet. Das lässt Kritiker heute von Kitsch reden.
  • Albrecht Dürer (1471–1528) – Er ist wohl der wichtigste Kupferstecher und Holzschneider Deutschlands. Aber vor allem bleibt sein Hase.
  • Erich Ohser (1903–1944) – Man kennt ihn vor allem unter seinem Pseudonym e. o. plauen, mit dem er seine Vater-und-Sohn-Comicstrips unterzeichnete. Er karrikierte für den Vorwärts Hitler und Goebbels. Letztendlich wurde er ein Opfer der Faschisten.

Todestag von Amadeu Antonio Kiowa

Heute vor 28 Jahren starb Amadeu Antonio Kiowa mit 28 Jahren. Das heißt er ist nun schon so lange tot, wie er überhaupt leben durfte. Und am 9. Januar wird sein Sohn, der seinen Vater nie hat sehen können, so alt wie sein Vater war, als er von Rechten in Eberswalde erschlagen wurde.

Konstantin Wecker hat sein Lied Willy, das er 1977 für einen ebenfalls von rechten Schlägern getöteten Freund geschrieben hatte, an den neuen tragischen Vorfall angepasst.

Selbstverständlich ist jeder Mord schrecklich, tragisch und unerträglich. Dass aber Unschuldige nur aufgrund ihres Aussehens, ihrer offensichtlich anderen Herkunft getötet werden, erfüllt mich als Deutscher, der sich der deutschen Geschichte bewusst ist, mit besonderer Scham.

1998 wurde die Amadeu Antonio Stiftung gegründet. Ihr erklärtes Ziel ist die Stärkung einer demokratischen Zivilgesellschaft, die sich konsequent gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus wendet. Und diese Stiftung ist aktiv! Gerade jetzt wird eine Publikation zu Kindern Rechtsextremer in Kindergärten diskutiert.

Link
https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/

Liste literarischer Todestage und ein Arzt mit Geschichte

Ich habe schon lange keine meiner Top-Five-Listen veröffentlicht, obwohl das eigentlich meine Lieblings-Artikel-Art ist. Es böte sich auch an, etwas über Asperger zu schreiben. Schließlich ist Johann Friedrich Karl Asperger, der Namensgeber einer speziellen Form des Autismus, heute vor 38 in Wien gestorben. Aber das lässt mich emotional gerade völlig kalt. Dies könnte ein politisch nicht ganz korrekter Witz sein, der sich auf das Asperger-Syndrom bezieht, wenn ich die erklärenden Zeilen nicht auch nutzte darauf hinzuweisen, dass Asperger selbst in der Zeit des Nationalsozialismus nicht selbst menschenverachtende, kriminelle Herzenskälte bewies, als er in der sogenannten Jugendfürsorgeanstalt Am Spiegelgrund Kinder und Jugendliche für die Tötung aussortierte. 1939 sagte Asperger in einem Vortrag:

Im neuen Deutschland haben wir Ärzte zu unseren alten eine Fülle neuer Pflichten übernommen. So wie der Arzt bei der Behandlung des Einzelnen oft schmerzhafte Einschnitte machen muss, so müssen wir aus hoher Verantwortung Einschnitte am Volkskörper machen. Wir müssen dafür sorgen, dass das, was krank ist und diese Krankheit in fernere Generationen weitergeben würde, zu des Einzelnen und des Volkes Unheil, an der Weitergabe des kranken Erbguts gehindert wird.

Ja, jetzt habe ich doch etwas zu Asperger geschrieben, eben weil es mich doch nicht kalt lässt. Nun aber – mit Blick auf meine Lesung am nächsten Samstag – doch schnell meine Top-Five-Liste von Todestagen bedeutender Schriftsteller:

  • Nikolos Barataschwili (1817–1844) – Ich habe nichts von Barataschwili gelesen. Aber er gehört wegen eines frühes Malaria-Todes zum Club der 27 und ist ein bedeutender Schriftsteller der Romantik aus Georgien. Georgisch wird auch bei meiner Lesung am Sonnabend zu hören sein.
  • Arthur Schnitzler (1862–1931) – Von diesem Arzt und berühmten modernen Erzähler und Dramatiker habe ich ebenfalls zu meiner Schande noch nichts gelesen oder gesehen. Sigmund Freud war begeistert vom Werk Schnitzlers. Das soll uns reichen.
  • Jack Kerouac (1922–1969) – Diesen großen Vertreter der Beat-Generation kenne ich nun endlich wirklich selbst. On the Road auf der Route 66 pflanzte weiteren Generationen das Fernweh in die Herzen.
  • Walter Schmiele (1909–1998) – Schmiele teilt das Schicksal vieler Übersetzer; weil ihre Namen nicht direkt auf dem Buchcover abgedruckt werden, kennt sie keine Sau. Und als Essayist schreibt man für ein Fachpublikum. Ich habe ihn als Autor einer Henry-Miller-Monographie kennengelernt.
  • Manfred Krug (1937–2016) – Krug war nicht nur ein hervorragender Schauspieler und arsch-cooler Sänger. Unter dem Pseudonym Clemens Kerber hatte er auch viele seiner Liedtexte selbst verfasst.

Literarische Geburtstage

Heute ist ein wahrlich besonderer Tag. Gleich zwei meiner absoluten Top-Favoriten aus dem Kreise der Autoren haben heute Geburtstag. Grund genug für eine schnelle Top-Five-Liste; denn die beiden stehen mit ihrem Geburtstag am 18.11. nicht alleine da:

  • Margaret Eleanor Atwood (* 1939) – Ihr dystopischer Roman A Handmaid’s Tale kam nach Trumps Wahl wieder in die Bestsellerlisten. Aber sie hat natürlich mehr geschrieben – und meiner Meinung nach auch besseres: The Robber Bride oder die Sammlung kurzer Erzählungen Wilderness Tips.
  • Klaus Heinrich Thomas Mann (1906–1946) – Seine zwei weiteren Vornamen sind auch schon die größte Hypothek, die Klaus Mann mit sich herumschleppte. Mephisto und Der Fromme Tanz sind Bücher, die ich neben seinen Essays über den aufkommenden und raumgreifenden Nationalsozialismus empfehlen kann.
  • Hans Reimann (1889–1969) – Er schrieb einen alternativen Reiseführer über Leipzig in der Reihe Was nicht im „Baedeker“ steht des Piper-Verlags. In der gleichen Reihe veröffentlichten Klaus und Erika Mann übrigens ihr Buch von der Riviera. Er arbeitete zusammen mit Heinrich Spoerl. Man sagt, Reimann sei der Co-Autor von Spoerls Feuerzangenbowle. Zumindest teilten sie sich die Tantiemen.
  • Richard Fedor Leopold Dehmel (1863–1920) – Ich mag vor allem Zwei Menschen. Roman in Romanzen und einige seiner Gedichte. Aber der ganze Mensch Dehmel ist sehr interessant und schillernd. Die deutschen Expressionisten verehrten ihn. Er übte sich in der Freien Liebe. Und in einem verschriftlichten Gespräch mit Max Liebermann sagt er, nur in „Mischvölkern“ gedeihe genialische Kreativität, befinde sich das geistig-kulturelle Niveau auf seinem Höhepunkt. Von auswärtigen Einflüssen abgeschlossene Ethnien seien langfristig dem allmählichen zivilisatorischen Niedergang geweiht. (Richard Dehmel, Kultur und Rasse. Ein Gespräch zwischen Künstlern, 1913)
  • Friedrich Ludwig Zacharias Werner (1768–1823) – Hier muss ich gestehen, Werner ist vor allem dabei, um auf die Fünf zu kommen. Aber er scheint in Mensch zu sein, mit dem man sich einmal beschäftigen sollte. Bei Kant hat er studiert und in Weimar wurden seine Stücke vor Goethe aufgeführt. Nach drei gescheiterten Ehen konvertierte der romantische Dichter zum Katholizismus und wurde noch Priester. Sein bekanntestes Stück ist das Schicksalsdrama Der vierundzwanzigste Februar. Und das ist mein Geburtstag.

Link
http://gutenberg.spiegel.de/buch/zwei-menschen-1728/1Zwei Menschen. Roman in Romanzen von Richard Dehmel beim Projekt Gutenberg