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Wollen wir in so einer Welt wirklich leben?

Ich schreibe. Ich liebe es, Gedichte zu verfassen, Bildergeschichten zu zeichnen und Erzählungen zu schreiben. Ich nenne mich gern einen Mann des Wortes (und der Wörter). Aber heute scheint mir jedes Wort, das ich benutze, so unpassend zu sein. Diese verrückte, trunkene, leidende und brutale Welt. Wie kann ein Mensch auf ihr bestehen? Wie können wir hoffen, eine Zukunft zu haben? Oder im Geiste des Literaturnobelpreisträgers William Golding: Wann kommen die Eltern zurück und nehmen uns die Erde ab, weil wir noch immer nicht mit ihr umgehen können?

Gerne zähle ich in diesem Blog zu einem Thema oder einem Datum fünf Punkt auf, die ich dann als meine persönliche Top-Five-Liste apostrophiere. Auch der Begriff ist heute so unpassend wie selten. Dennoch eine Liste mit fünf Punkten, die mich verzweifeln lassen.

  • Heute wurde ein Terroranschlag in Kabul verübt. Bisher sprechen die Nachrichten von 90 Toten und hunderten Verletzten. Mit dieser Opferzahl ist der Anschlag besonders verheerend. Auch die deutsche Botschaft ist von diesem Anschlag betroffen. Um das Botschaftspersonal zu entlasten – und deutlich hervorgehoben nur deshalb – werde die Abschiebung nach Afghanistan für heute ausgesetzt. Afghanistan sei immer noch ein teilweise sicheres Herkunftsland und Anschläge gebe es auch in anderen Ländern, muss ich da von angeblich christlichen Parteigängern lesen.
  • In Nürnberg wird ein 20-jähriger Afghane aus der Berufsschulklasse abgeholt, um abgeschoben zu werden. Mitschüler und auch Passanten solidarisieren sich. Um die 300 Personen demonstrieren schließlich für den Verbleib des offensichtlich integrationswilligen jungen Mannes. Phasenweise droht der Protest zu eskalieren. Die Polizei setzt Pfefferspray ein und verhaftet einzelne Protestierende.
  • US-amerikanische Medien melden, dass Präsident Trump sich bereits entschieden hätte, das Pariser Klimaabkommen aufzukündigen. Einer der größten CO2-Emittenden verweigert somit die internationale Zusammenarbeit zum Bewahren der Schöpfung.
  • Die AfD fälscht das Cover des Buches von Justizminister Heiko Maas. Statt des Untertitels „Eine Strategie gegen Rechts“ steht dort nun „Eine Strategie gegen das Recht“. Natürlich wird so etwas schnell aufgeklärt. Aber in dem Fake-New-Taumel gehen uns die  Mittel zum Diskurs verloren. Vorher wurden Worte von Margot Käßmann bewusst aus dem Zusammenhang gerissen, sodass es klang, als würde sie alle Deutschen ohne Migrationshintergrund als Nazis bezeichnen. Immer noch werden dann solche Meldungen unbedarft geteilt und weiterverbreitet. Sind die Sozialen Medien noch zu retten? Oder werden sie zu einer Grauzone verkommen wie die sprichwörtliche Hafenkneipe?
  • Nachdem ein rechtsextremer Bundeswehroffizier als vermeintlicher Syrer Asyl erhalten hatte, wurden 2000 weitere Asylverfahren überprüft. Ein vergleichbarer Fall sei nicht entdeckt worden. Es sollten aber nun bis 100.000 weitere Asylverfahren der letzten zwei Jahre überprüft werden. In der Zwischenzeit warten weitere Menschen auf eine Lebensperspektive und ihre Papiere, von denen diese abhängt.

Ich möchte das alles nicht. Diese Welt möchte ich nicht. Aber ich weiß nicht, wie wir das ändern können. Heute Abend bin ich verzweifelt und sehr traurig.

10 Jahre Wiederaufbau der Frauenkirche

Heute vor 10 Jahren wurde mit einem Festgottesdienst die Frauenkirche in Dresden nach ihrem Wiederaufbau geweiht. Das in der Nacht zum 14. Februar 1945 zerstörte Gotteshaus blieb zu DDR-Zeiten Ruine. Nach der Wende wurde sie bald als ein Symbol für die Wiedervereinigung Deutschlands auserkoren. 1994 begann der der Wiederaufbau. Die Mittel dazu kamen durch Spenden aus der ganzen Welt zusammen.

Ich glaube, ein Blog-Eintrag reicht bei weitem nicht aus, die Dimension dieses Ereignisses und seine Implikationen ausreichend zu erörtern. Zunächst fällt natürlich auf, dass weltweite Unterstützung einer Stadt zugute kam, die heute – also gerade mal 10 Jahre später – durch besondere Fremdenfeindlichkeit auffällt.

Andererseits ist der Wiederaufbau 1:1 weder kunsthistorisch noch architektonisch besonders einfallsreich. Vielmehr kann man bereits darin revanchistische Tendenzen ausmachen, zu denen dann die Pegida-Demonstrationen ganz gut ins Bild passen.

Sollte Gott noch einmal wie im Alten Testament Feuer regnen lassen auf Städte, die das Gastrecht missachten, träfe es wohl zuerst die Frauenkirche in Dresden.

Tag der Ersten Märtyrer von Rom

Heute ist für die evangelische wie die katholische Kirche der Gedenktag der Ersten Märtyrer von Rom. Gemeint sind damit die frühen Christen, die unter Nero verfolgt und oft bestialisch gefoltert und gemordet wurden. Tacitus berichtet von Massenkreuzigungen und von Zirkusspielen, bei denen Christen in Tierhäute gebunden wilden Tieren vorgeworfen wurden. Aber besonders schrecklich ist wohl, dass der Kaiser Nero in seinen Parkanlagen zur Dämmerung Christen als lebende Fakeln aufstellen ließ.

Die lebenden Fackeln des Nero (1876 von Henryk Siemiradzki)
Die lebenden Fackeln des Nero (Henryk Siemiradzki, 1876)

Der polnische Salonmaler Henryk Siemiradzki schuf 1876 selbst in Rom lebend das Gemälde Die lebenden Fackeln des Nero, das keine 20 Jahre später sogar in Theodor Fontanes Roman Die Poggenpuhls Eingang gefunden hat. Unser heutiges Nero-Bild ist jedoch von einem anderen Polen nachhaltig geprägt. Zeitgleich mit der Buchveröffentlichung der Poggenpuhls erschien der Roman Quo Vadis? des Literaturnobelpreisträgers Henryk Sienkiewicz. Ist der Roman auch schon 1898 auf Deutsch erschienen, kennen heute doch die meisten nur aus dem Kreise der Verfilmungen jene des Regisseurs Mervyn LeRoy aus dem Jahre 1951. Sir Peter Ustinov stellte Nero so raumgreifend und überzeugend dar, dass seine Verkörperung lange Zeit jedes historische Zeugnis verdrängte.

Mittlerweile wird der historische Nero deutlich nüchterner betrachtet. Manche Historiker sehen im Seneca-Schüler einen erst hoffnungsvollen Reformer, der Opfer seines wohl schwachen und ausschweifenden Chrakters und seiner eigentlichen Fehlbesetzung auf dem Kaiserthron wurde. Nero sah sich sein Leben lang als Künstler. Dass in seiner Regierungszeit Christen verfolgt wurden, bleibt aber unbestritten. Um auch ein filmisches Gegenstück zur Ustinov-Variante zu nennen, empfehle ich den Fernsehfilm aus dem Jahre 2004 Imperium: Nero (im Deutschen noch mit dem Untertitel Die dunkle Seite der Macht). Hans Matheson spielt unter dem britischen Regisseur Paul Marcus die Figur des Kaisers so ganz anders aus, dass ich fast schon Mitleid mit diesem visionären aber orientierungslosen Potentaten fühlen möchte.


Ein solcher Tag nun scheint mir angemessen, auf ein Video der Katholischen Kirche in Deutschland aufmerksam zu machen. Flüchtlinge in Deutschland lesen Twitter-Nachrichten von Deutschen über Flüchtlinge. Die Nachrichten sind echt und die Flüchtlinge auch.

Wir sitzen so warm, satt, sicher und über die Maßen selbstgefällig vor unseren Bildschirmen und urteilen leichtfertig über Menschen, die oft nur knapp einem der Ersten Märtyrer von Rom ähnlichen Schicksal entkommen sind. Die Pegida-Demonstrationen, die Brandanschläge auf Asylbewerberheime, die hier verlesenen Tweets – das alles erfüllt mich mit Scham. Sollten wir nicht langsam bessere Menschen geworden sein?

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katholisch.de/fluechtlinge