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Das Ballhaus als Hauptdarsteller

Gestern war ich mit guten Freunden in Weimar. Neben einem wunderschönen Frühlingsspaziergang an der Ilm vorbei an Goethes Gartenhaus inklusive Eis und später italienischem Abendessen stand vor allem eine Premiere im Deutschen Nationaltheater an.

Das Ballhaus (Le Bal) nach einer Idee des Théâtre du Campagnol macht einen Ballsaal zum Protagonisten und die Schauspieler zu tanzenden Statisten der Zeitgeschichte. Hundert Jahre, von den 20er-Jahren des 20. Jahrhunderts bis heute sehen wir in zwei Stunden an uns vorrüberziehen. Das gesamte Stück kommt ohne gesprochenen Text aus. Die Melodien der Jahrzehnte sprechen für sich.

Die Bühne ist ein Ballsaal.

Man sieht den Schaupsielerinnen und Schaupsielern die Freude an diesem besonderen Stück an. Das überträgt sich unmittelbar auf den Zuschauer. Kleine Gags und größere Spannungsbögen der deutschen Geschichte werden hier tanzend gespiegelt. Es lässt sich schwer in Worte fassen. Von Mark Twain stammt ein Wort, das auch im Programm zum Stück zitiert wird:

Geschichte wiederholt sich nicht –
aber sie reimt sich.

Mark Twain

In diesem Sinne sehen wir im Ballsaal immer wieder tanzend Liebe und Verlangen, Erwiderung und Ablehnung – alles im Spiegel der deutschen Geschichte: Inflation, aufsteigender Nationalsozialismus, Weltkrieg, Wiederaufbau, Sozialismus, Wiedervereinigung, 9/11 und Corona. Die Zwei Stunden sind prall gefüllt mit Anspielungen und Reminiszenzen.

Standing Ovations zur Premiere

Links
http://theatreducampagnol.fr/
https://www.nationaltheater-weimar.de/
https://bit.ly/stueckseite-programmheft-ballhaus

Flagge zeigen!

Heute hat die deutsche Flagge Geburtstag, bzw. einen ihrer vielen Geburtstage. Denn die Farben Schwarz-Rot-Gold sind nicht nur älter als die Bundesrepublik und die Weimarer Republik, sondern sogar ein wenig älter als der Deutsche Bund von 1815. Denn davor kommen noch die Burschenschaft und das Lützowsche Freikorps der Befreiungskriege. Aber heute ist ein besonders rundes Jubiläum. Vor 100 Jahren beschloss der Staatenausschuss die Farben der deutschen Nationalflagge. Der Staatenausschuss war die Ländervertretung zur Zeit der Weimarer Nationalversammlung, quasi der Bundesrat der Übergangsphase.

Heute wissen wir, wie tragisch und brutal die Weimarer Republik endete. Doch das besudelt nicht die Farben Schwarz-Rot-Gold, die – nebenbei bemerkt – die Regeln der klassischen, aristokratischen Heraldik brechen. Bezeichnend ist nämlich, dass die Nationalsozialisten die Farben wieder abschafften. Statt der selbstbewussten bürgerlich-freiheitlichen Flagge wehte überall das heraldikkonforme Hakenkreuzbanner.


Für eine andere Entwicklung in Richtung Freiheit ist dieser Tag auch besonders wichtig. Die LGBT-Bewegung, deren Fortschritt ebenfalls am Wehen einer bestimmten Flagge abgelesen werden kann, kann heute bedeutender Ereignisse und Geburtstag gedenken. Ich liste sie in zeitlicher Reihenfolge auf:

  • 1895 – John Sholto Douglas, 9. Marquess of Queensberry lässt in seinem Club einen Brief übergeben für Oscar Wilde, den posierenden Sodomiten. Douglas ist der Vater von Alfred Douglas, dem Geliebten Oscar Wildes. Die quasi-öffentliche Betitelung als Sodomiten zwingt Wilde zu Verleumdungsklage. Diese wiederum führt zu Wildes strafrechtlicher Verurteilung wegen Homosexualität.
  • 1932 – Andreas Meyer-Hanno wird geboren. Der u. a. mit einem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnete Opernregisseur ist einer der wichtigsten Schwulenaktivisten der Bundesrepublik. Er setzte sich ein für das Mahnmal Homosexuellenverfolgung in Frankfurt a.M. auf dem dafür umbenannten Klaus-Mann-Platz. Es war das erste bundesdeutsche Denkmal für schwulen und lesbischen Opfer des NS-Regimes.
  • 1933 – Yoko Ono wird geboren. Sie ist nicht nur eine fantastische Künstlerin und die große Liebe von John Lennon; sie ist eine Menschenrechtsaktivistin, eine Kämpferin für den Frieden und die Gleichstellung von Homosexuellen. In der Komödie Jeffrey (1995) wird der schwule Innenarchitekt Sterling (Patrick Stewart) nach seiner größten erotischen Phantasie gefragt. Seine Antwort: einen Tee trinken mit Yoko Ono, um ihre Inneneinrichtung zu sehen.
  • 1937 – Der Reichsführer SS Heinrich Himmler hält in Bad Tölz eine Geheimrede vor den SS-Gruppenführern. In dieser Rede bezeichnet er Homosexualität als ein anormales Leben. Nach der relativen Zurückhaltung während der Olympischen Sommerspiele 1936 bedeutet dieses Rede die Rückkehr bzw. Ausweitung der Verfolgung von Homosexuellen.
  • 2006 – Die lesbische Polizistin Laurel Hester stirbt. Sie setzte sich erfolgreich dafür ein, dass ihre Partnerin nach ihrem krankheitsbedingt frühen Tod Anspruch auf Pensionszahlungen erhält, wie es bei heterosexuellen Paaren üblich ist. Julianne Moore spielt Hester im Film Freeheld (2015).