Der 20. Juli 1944 ist für mich seit früher Schulzeit ein Tag der stolzen Trauer. Nicht alle Deutschen zwischen 1933 und 1945 waren Verbrecher. Einige leisteten Widerstand, obwohl sie ihr Leben und ihre Ehre damit aufs Spiel setzten. Immerhin waren sie durch einen besonderen Treueschwur gebunden.
Manche wenden ein, der Widerstand aus dem Militär wäre zu spät gekommen. Er diente wohl nur noch der Rettung der eigenen Haut durch das Aushandeln eines Friedensvertrages nach dem Tod Hitlers. Doch auch hier gilt die Binsenweisheit: besser spät als nie. Anderen galten die Attentäter als Vaterlandsverräter, hatten sie doch den Treueschwur gebrochen. Die Erinnerungskultur ist erst langsam in der Bundesrepublik Deutschland zu dem herangewachsen, was wir heute darunter verstehen.
Gerade erleben wir traurige, beunruhigende und auf jeden Fall historische Tage für die Türkei. Ein vermeintlicher Militärputsch wurde niedergeschlagen. Menschen, die mit diesem Umsturzversuch in Verbindung gebracht werden, aber wie es scheint auch viele weitere, die auf bereits vorbereiteten Schwarzen Listen standen, werden inhaftiert oder mindestens ihrer Ämter enthoben, beurlaubt, mit Ausreiseverbot belegt.
Am Morgen nach dem Putschversuch hat auch Angela Merkel sich beeilt, darauf zu verweisen, dass ein Putsch nicht der richtige Weg sei, eine gewählte Regierung abzulösen. Ach nein? Ich glaube nicht, dass ein Wahlergebnis jedes folgende Unrecht legitimiert. Hitler und seine NSDAP wurden auch gewählt. Trotzdem möchte wohl kaum ein vernünftig denkender Mensch den Attentätern des 20. Juli Angela Merkels altkluge Worte entgegenhalten. Bertolt Brecht wird der knappe Satz zugeschrieben: Wo Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht.
Und das Grundgesetz sieht das ganz ähnlich. Es formuliert im Artikel 20 auch knapp, an diesem Punkt aber doch ein wenig ausführlicher. Der Absatz 4 dieses Artikels ist 1968 im Rahmen der Notstandsgesetze ergänzt worden:
(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.
(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.
(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.
(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.
Nach meinem Verständnis schließt das Gegen jeden auch eine gewählte Regierung mit ein. Nun gilt in der Türkei natürlich nicht das deutsche Grundgesetz. Aber wenn der Putschversuch, von dem wir durch die Medien unterrichtet wurden, tatsächlich als solcher geschehen ist, kann ich die Beweggründe der Drahtzieher durchaus nachempfinden.
Dass sie nun einen ordentlichen Prozess nach türkischem Recht erhalten, ist leider nicht selbstverständlich.