Wrocław und Abbas Khider

Das war wieder eine längere Posting-Pause. Zwei Polen-Aufenthalte und auch ein wenig die Arbeit haben sie nötig werden lassen. In den letzten Tagen überlegte ich, ob und welche Fotos ich von meinen Fahrten nach Breslau, Krakau und Auschwitz posten sollte. Aber irgendwie fühle ich mich gar nicht danach.

Seit einigen Tagen gährt in mir viel Wut und Traurigkeit, wenn ich an Bautzen denke. Ich höre die Meldungen, lese die Artikel und kann nicht fassen, wie das Geschehen so lakonisch aufgenommen werden kann. Mir fällt kein konstruktiver Lösungsansatz ein. Nach einem Urlaubsboykott von Usedom muss wohl auch Bautzen auf die Liste. Bei der Ersten Hilfe gilt es ja auch, die eigene Gefährdung zu vermeiden. Aber da muss noch etwas folgen. Wir können die unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten doch nicht in solcher Gesellschaft lassen!

Eine Polen-Impression passt an dieser Stelle. Breslau/Wrocław ist in diesem Jahr Kulturhauptstadt Europas. Einiges was in diesem Rahmen veranstaltet wurde habe ich wahrgenommen. Eins allerdings nicht, weil es eine Terminüberschneidung gab. Im stillgelegten Świebodzki Bahnhof (ehemals Freiburger Bahnhof) war ein genreübergreifendes Kunstprojekt untergebracht zum Thema Flüchtlinge. Der allgemein Titel lautet auf Englisch:

unfinished palace,
migrating people,
moving border /
european songlines

Schon dieser Titel hat mich für dieses Projekt eingenommen, spielt er doch auf die im Deutschen Traumpfade genannten Wege der australischen Ureinwohner. Bruce Chatwin hat einen wunderbaren Roman unter dem Titel „The Songlines“ veröffentlicht. Eine wichtige These Chatwins ist, dass die Sesshaftigkeit des sich entwickelnden Menschen der eigentliche Sündenfall ist. Mit ihr komme das Besitzstreben – über Tragbares hinaus. Besonders interessiert hätte mich die Multimedia-Inszenierung „Don’t Be So Sure That You Are Legal“ im Rahmen der European Songlines. Wir sind uns in Deutschland ja so sicher. Wir geben auch gerne neunmalkluge Ratschläge, was ein junger Flüchtling besser hätte machen sollen, anstatt nach Europa zu kommen. Woher nehmen wir dieser Dreistigkeit? Und was passiert, wenn wir einmal wieder gute Gründe finden für eine Flucht?

In der selben Zeit hat mich eine gute Freundin auf den Autoren Abbas Khider aufmerksam gemacht. Er ist auf den Tag genau eine Woche jünger als ich, hat aber eine vollkommen andere Biografie. Khider wurde in Bagdad geboren und lebt seit 2000 in Deutschland. Was ihn zur Flucht bewogen hat und auf welchen verworrenen Wegen sie letztendlich gelang, ist – künstlerisch überformt und verfremdet – Inhalt seines ersten Romans „Der falsche Inder“, den ich an dieser Stelle rückhaltlos empfehlen möchte. Khider schreibt übrigens auf Deutsch. Das nenne ich eine Integrationsleistung. Sein jüngstes Werk „Ohrfeige“ schildert die Lage der Flüchtlinge in den Fängen der deutschen Bürokratie. Ebenfalls sehr lesenswert. Es ist vom WDR zu einem knapp einstündigen Hörspiel verarbeitet worden, das auch auf CD erhältlich ist.

Links
http://niedokonczonydom.pl/en/
http://europaoculta.de/
http://www.wroclaw2016.pl/
http://www.abbaskhider.com/

2 Gedanken zu „Wrocław und Abbas Khider

  1. Doch auch nach längeren Posting-Pausen, kann man von dir wieder Spannendes lesen.
    Als Gegenüberstellung zur Kunst-Thematik Menschen die fliehen konnten, möchte ich auf folgendes Projekt verweisen, das sich mit Menschen beschäftigt, die nicht rechtzeitig geflohen sind oder bei der Flucht gefasst worden.

    Auf den Seiten der ARD habe ich von Luigi Toscano gelesen. Nach einer kurzen Recherche erfahre ich das der Mannheimer Türsteher war bevor er zum Fotografen wurde.

    In seinem Projekt Gegen das Vergessen beschäftigt er sich mit Überlebenden der Konzentrationslager. Die 200 Portraits dieser Menschen können sowohl in einem Bildband als auch über eine App begutachtet werden.

    Website

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