Zweiter Advent

Ins frühe Dunkel sinken nun die Tage,
die toten Städte fallen in die Nacht,
und Kinder siehst du an den Trümmern kauern,
und kranke Tiere an geborstnen Mauern,
und niemand noch hat ihnen Brot gebracht.

Und doch siehst manchmal du ein Licht erstrahlen,
ganz weit, wie aus zersprungnem Kirchentor,
und ferne Orgeln hörst wie Sturm du dröhnen,
und Gläubige, die aus der Tiefe stöhnen,
und dann erstirbt’s wie ein verschollner Chor.

Und manchmal siehst du auf verschneiten Feldern
der Engel Silberfüße vor dir gehn,
und siehst ein Licht vor ihren weißen Flügeln,
und siehst es löschen hinter dunklen Hügeln,
und ist doch immer, immer noch zu sehn.

Dann stehst du still, im Herzen tief erschrocken,
wie du als Kind erschrakst beim Sakrament,
und aus dem Dunkel deiner Erdenzeiten
fühlst kindlich du dich deine Hände breiten
nach Licht und Stern und heiligem Advent.

Ernst Wiechert

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.