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Hilflosigkeit

Es gibt so vieles, über das man schreiben könnte, ach, müsste! Da gibt es hier in Leipzig die gestrigen Demonstrationen zu/gegen ein Jahr Legida inklusive rechter Ausschreitungen, die bereits mit dem November 1938 verglichen wurden. Dann haben wir noch die Geschehnisse der Silvesternacht in Köln, die noch einiges an Ermittlungsarbeit erfordern, die aber andererseits schon viel in der Politik bewegen. Und das Unwort des Jahres 2015 steht fest: Gutmensch. Da traut man sich fast nicht mehr, noch David Bowie mit aufzuführen, der gestern mit 69 Jahren einem Krebsleiden erlag.

Mir fehlt es heute an gesitreichem Witz, diese Aspekte nun gekonnt miteinander zu verbinden. Stattdessen möchte ich René Goscinny (Text) und Albert Uderzo (Zeichnung) zitieren, die bereits 1974 im 21. Band der Asterix-und-Obelix-Reihe Das Geschenk Cäsars den greisen Methusalix in Pegida-Manier über Fremde sinnieren lassen:

Ich habe nichts gegen fremde aber

Geburtstag von Phil Ochs und die Abschaffung der Sklaverei

In den letzten Monaten des Amerikanischen Bürgerkrieges (1861–1865) wurde der Dreizehnte Zusatz zur Amerikansichen Verfassung im Kongress mit einem Stimmenverhältnis von 119 zu 56 verabschiedet (31. Januar 1865). Die Urkunde wurde am Tag darauf von Abraham Lincoln unterzeichnet und ist damit der einzige Verfassungszusatz, der überhaupt von einem Präsidenten unterzeichnet wurde. Er schrieb noch das Wort „Approved“ vor seinen Namen, was „gebilligt“ meinen kann aber auch schlicht „vorschriftsmäßig“. Um wirklich Teil der Verfassung zu werden, muss ein Verfassungszusatz von 3/4 der Staaten ratifiziert werden. Dieses Ziel war am 6. Dezember 1865 mit der Ratifizierung durch den Staat Georgia erreicht. Am 18. Dezember 1865, also gestern vor genau 150 Jahren, wurde die endgültige Abschaffung der Sklaverei auf dem Boden der USA verkündet. Abraham Lincoln war da bereits mehrere Monate tot. Er war im Ford’s Theatre in Washington DC zu Karfreitag, der 1865 auf den 14. April fiel, erschossen worden.

13th Amendment
13th Amendment

Also 150 Jahre ohne Sklaverei! Oder doch nur zwei; denn der Staat Mississippi bestätigte den Dreizehnten Verfassungszusatz erst am 7. Februar 2013 (sic!). Doch der 18. Dezember 1865 ging in die Geschichte ein als das offizielle Datum der Abschaffung der Sklaverei.

75 Jahre und einen Tag später wurde Phil Ochs am 19. Dezember 1940 in El Paso, Texas geboren. Er ist ein bedeutender Singer & Songwriter, der in den 1960er Jahren Bob Dylan starke Konkurrenz machte, und heute ist er – in Deutschland – leider fast vollständig unbekannt. Seine Selbstbezeichnung war die eines Topic Singers, im Gegensatz zum Protest Singer. Er sang über All the news that’s fit to sing, was auch gleich der Titel seines ersten Albums 1964 wurde. Es ist die Abwandlung des Claims der New York Times: All the news that’s fit to print. Bob Dylan soll ihn mal aus einem gemeinsamen Taxi geworfen haben mit dem Vorwurf: Du bist kein Songwriter, du bist Journalist! Phil Ochs nahm sich am 9. April 1976 in New York City das Leben – fünf Tage vor dem 111. Todestag Abraham Lincolns.

Phil Ochs ist aus unserer heutigen Perspektive also ein Beobachter des Halbzeitzwischenstands – bzw. Zweidrittel; denn als Phil Ochs mit 24 sein ersten Album veröffentichte, bereitete man sich schon auf das hundertjährige Jubiläum vor. Wie stand es also um die Gleichheit von Schwarzen und Weißen in den USA?

Die Frage ist nicht ganz ernst gemeint. Auch in deutschen Schulbüchern kann man von den bürgerbewegten 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts lesen. Wieder ist ein Präsident erschossen worden (John F. Kennedy am 22. November 1963) und vor allem in Südstaaten der USA kämpfen die Nachfahren der Sklaven einen schier aussichtslosen Kampf um Gleichheit. Eine in Deutschland wieder recht unbekannte Ikone der Bürgerrechtsbewegung ist Medgar Evers, der am 12. Juni 1963 in Jackson, Mississippi erschossen wurde. Evers war Weltkriegs-Veteran und wurde mit militärischen Ehren bestattet. Doch sein Mörder überstand in den 60ern zwei schmutzige Prozesse und wurde erst 1994 (sic!) bei einem Revisionsverfahren verurteilt. Er starb 2001 im Gefängnis.

Der Mord an Medgar Evers und die folgende Prozess-Farce schlug sich 1964 in der Singer-&-Songwriter-Szene nieder. Bob Dylan schrieb Only a pawn in their game. Und Nina Simone brachte Mississippi goddam heraus. Phil Ochs sang Too many martyrs und bezog sich darin neben Medgar Evers auch noch auf den Lynchmord des 14-jährigen Emmet Till aus dem Jahre 1955.

https://www.youtube.com/watch?v=fVQjGGJVSXc

Nina Simones Reaktion auf den Mord an Medgar Evers geht mir besonders nahe. Das Lied wurde damals allerdings großflächig von Radiostationen boykottiert mit Verweis auf den religiöse Gefühle verletzenden Kraftausdruck im Titel. Goddam! Man fragt sich wirklich, was schlimmer ist.

In der Nacht vom 21. zum 22. Juni 1964 wurden in Philadelphia, Mississippi drei Bürgerrechtler, die Schwarzen halfen, sich für die Wahlen registrieren zu lassen, von Mitgliedern des Ku Klux Klan ermordet. Möglich wurde dies unter anderem, weil den Mördern von staatlicher Seite Informationen zum Auffenthaltsort der drei Aktivisten zugespielt worden waren. Sie hießen: James Chaney, Andrew Goodman und Michael Schwerner. Endlich 2005 (sic!) wurde Edgar Ray „Preacher“ Killen, einer der Mörder, zu dreimal 20 Jahren Haft verurteilt. 2014 verlieh Barack Obama Chaney, Goodman und Schwerner die Presidential Medal of Freedom.

Pete Seeger schrieb 1964 Those three are on my mind und Tom Paxton nannte seinen Song schlicht Goodman, Schwerner, and Chaney. Phil Ochs gab so etwas wie einen zynisch-bitteren Trinkspruch aus: Here’s to the State of Mississippi!

Die bekannteste Spur aber haben die Morde wohl in Hollywood hinterlassen. Am 9. Dezember 1988 erschien der mehrfach preisgekrönte Kinofilm Mississippi burning, der sich im freien Umgang mit dem historischen Material den Verbrechen des Ku Klux Klans widmete. Gene Hackman und Willem Dafoe untersuchen die Morde an den drei Bürgerechtlern, die hier nur die Jungs genannt werden.

Später sang Ochs das Lied – in der Tradition des Topic Singers – mit verändertem Text unter dem Titel Here’s to the State of Richard Nixon. Eddie Vedder stellte sich am 11. September 2007 in eben diese Tradition mit seiner Version: Here’s to the State of George W. Das Video zeigt Vedder beim Toronto International Film Festival, wo der Dokumentarfilm Body of war den dritten Platz des Publikumspreises erhielt. Eddie Vedder zeichnet verantwortlich für die Musik des Films. Zu der Dokumentation ist außerdem noch eine Doppel-CD erschienen, auf der neben Eddie Vedder auch andere Größen bis Giganten des politischen Liedes zu hören sind. Es ist ein äußerst interessanter Zufall, dass diese Präsentation in Toronto genau auf den 11. September fiel.

Denn in Body of war geht es um einen verwundeten Veteran des Irak-Krieges, der in Folge der Anschläge des 11. September 2001 von George W. Bush unter damals schon fragwürdigen – heute bekanntermaßen gefälschten – Gründen vom Zaun gebrochen wurde.

An den Kriegen der Vereinigten Staaten hat sich Phil Ochs ebenfalls immer wieder abgearbeitet. In seinem Song What are you fighting for heißt es:

Before you pack your rifle and sail across the sea
Just think upon the southern part of the land that you call free
Oh, there’s many kinds of slavery and we’ve found many more
I know you’re set for fightin‘, but what are you fighting for?

Heute wäre Phil Ochs 75 Jahre alt. 150 Jahre und einen Tag gibt es – offiziell – keine Sklaven mehr in den USA. Doch wir werden uns alle noch weiter anstrengen müssen, um tatsächlich die Gleichheit aller Menschen weltweit zu erreichen.

Links
http://www.stopwar.org.uk/index.php/music3/phil-ochs-what-are-you-fighting-for
http://www.loc.gov/exhibits/hope-for-america/political-songs.html
http://www.bodyofwar.com/
und immer wieder http://de.wikipedia.org/

Das Windhahn-Syndrom

Seit einigen Jahren kenne ich Winfried Völlger als einen freundlichen, ruhigen Mann, der am Montagabend in der Villa zur OpenStage Saxophon spielt. Bei einigen Liedern spielen wir zusammen – ohne vorherige Absprache, nach einem kurzen Blick, das reicht. Seiner Gestalt sieht man an, dass er eine Geschichte hat. Mit seinem weißen Vollbart bewegt er sich irgendwo zwischen griechischem Philosophen und Waldschrat. Vielleicht ist er auch ein Wilder Mann, der dem Prinzen zu Hilfe eilt. Auf jeden Fall freue ich mich jeden Montag, den ich ihn in der Villa treffe und seinem Saxophonspiel lauschen kann, wenn wir nicht gar gemeinsam spielen.

An einem dieser Abende sagt Winfried Völlger mir, dass ein Buch von ihm wieder aufgelegt wurde. Das interessierte mich. Und nach einem Feature im Deutschlandfunk über das 1983 bei Hinstorff veröffentlichten Windhahn-Syndrom bestellte ich sofort ein Exemplar der Neuausgabe des Mitteldeutschen Verlags, Halle (Saale).

Heute habe ich die Lektüre beendet. Es ist wahrscheinlich noch zu früh, um wirklich eine gute Buchbesprechung zu verfassen. Aber bevor mein Herz platzt, muss ich kurz meiner Begeisterung Ausdruck verleihen. Ich habe lange nicht ein so gutes Buch gelesen! Die DDR der frühen 80er Jahre ist so genau beobachtet. Das klingt sicher komisch, wenn ein Mensch das schreibt, der die 80er Jahre bis auf wenige Wochen Urlaub im Westen Deutschlands verbracht hat. Aber ich habe mich eingehend mit der Vergangenheit meiner mittlerweile 23-jährigen Wahlheimat Leipzig beschäftigt, um doch auch auf diesem Felde eine halbwegs gesicherte Aussage zu treffen.

Den Inhalt des über 300 Seiten starken Romans werde ich jetzt nicht wiedergeben. Begreift diesen Blog-Eintrag als eine etwas kryptische Leseempfehlung!

Links
mitteldeutscherverlag.de
voellger.de

Geburt und Sterben

Ich bin momentan jahreszeitlich passend ein wenig nachdenklicher und trauriger als sonst. Deshalb schreibe ich auch kaum hier auf dem Blog. Aber ich hoffe, dass sich dieser Zustand auch wieder ändern wird.

Helmut Schmidt ist heute im Alter von 96 Jahren in Hamburg verstorben. Ich werde jetzt keinen langen Nachruf verfassen. Das überlasse ich den Berufeneren. Für mich persönlich geht damit ein wichtiger Lebensabschnitt zu Ende. Helmut Schmidt war der erste Bundeskanzler, den ich bewusst als solchen erlebt habe. Außerdem ist heute der Geburtstag Martin Luthers. Aber der 10. November hat für Deutschland heute eine neue, zusätzliche Bedeutung erlangt.

10 Jahre Wiederaufbau der Frauenkirche

Heute vor 10 Jahren wurde mit einem Festgottesdienst die Frauenkirche in Dresden nach ihrem Wiederaufbau geweiht. Das in der Nacht zum 14. Februar 1945 zerstörte Gotteshaus blieb zu DDR-Zeiten Ruine. Nach der Wende wurde sie bald als ein Symbol für die Wiedervereinigung Deutschlands auserkoren. 1994 begann der der Wiederaufbau. Die Mittel dazu kamen durch Spenden aus der ganzen Welt zusammen.

Ich glaube, ein Blog-Eintrag reicht bei weitem nicht aus, die Dimension dieses Ereignisses und seine Implikationen ausreichend zu erörtern. Zunächst fällt natürlich auf, dass weltweite Unterstützung einer Stadt zugute kam, die heute – also gerade mal 10 Jahre später – durch besondere Fremdenfeindlichkeit auffällt.

Andererseits ist der Wiederaufbau 1:1 weder kunsthistorisch noch architektonisch besonders einfallsreich. Vielmehr kann man bereits darin revanchistische Tendenzen ausmachen, zu denen dann die Pegida-Demonstrationen ganz gut ins Bild passen.

Sollte Gott noch einmal wie im Alten Testament Feuer regnen lassen auf Städte, die das Gastrecht missachten, träfe es wohl zuerst die Frauenkirche in Dresden.

Verfassungstag der Weimarer Republik

Am 11. August 1919 wurde die am 31. Juli des gleichen Jahres vom Reichstag verabschiedete Verfassung der sogenannten Weimarer Republik vom sozialdemokratischen Reichspräsidenten Friedrich Ebert unterzeichnet. Drei Tage später trat sie in Kraft. Viele Artikel sind der Paulskirchenverfassung von 1849 entnommen und fanden nach der Niederschlagung des Faschismus auch wieder Eingang in das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. Diesen Traditionsstrang sollten alle aufrechten deutschen Demokraten nicht aus dem Blick verlieren. Er kann Kraft und Mut spenden, gerade in unseren Zeiten.

Als Nationalfeiertag wurde der 11. August ab 1921 begangen. Er war aber nicht im gesamten Reich ein gesetzlicher Feiertag. Das Foto zeigt die letzte Verfassungsfeier am 11. August 1932 vor dem Reichstag in Berlin. Das Bild ist vom Bundesarchiv (Bild 102-13744 / CC-BY-SA).

Die grosse Verfassungsfeier der Reichsregierung am 11. August 1932 in Berlin ! Blick von der Siegessäule auf den flaggengeschmückten Platz vor dem Reichstag während der Verfassungsfeier.
Die große Verfassungsfeier der Reichsregierung am 11. August 1932 in Berlin.

Eine Reihe von Geburtstagen

Heute hätte mein Neffe Jonas geboren werden sollen. Er ist aber bereits vier Tage auf der Welt. Das finde ich gut! Erstens zeigt es, dass bei der Geburt alles gut gegangen ist, zweitens kann der 15. Juni weiterhin ungeteilt der Geburtstag meines Patenkindes Pauline bleiben.

Wobei man fairer Weise sagen muss, dass niemand einen Tag ganz für sich hat. Schon in einer Gruppe von 23 Personen ist die Wahrscheinlichkeit, dass zwei am gleichen Tag geboren sind, etwas höher als 50 Prozent. Wer das jetzt nicht glaubt, mag Begriffe wie Geburtstagsproblem oder Geburtstagsparadoxon suchen. Das inspiriert mich zu der Top-Five-Liste wichtiger Geburtstage des heutigen Tages (neben meinem Patenkind, selbstverständlich):

  1. Wilhelm Leuschner (1890) kämpfte als Gewerkschafter und Sozialdemokrat gegen den Faschismus. Er war Mitglied des Schattenkabinetts, das von den Widerständlern des 20. Juli 1944 gebildet worden war. Leuschner wurde am 29. September 1944 in Berlin-Plötzensee hingerichtet.
  2. Ezer Weizmann (1924) war von 1993 bis 2000 der siebte Präsident des Staates Israel und Sohn des ersten Präsidenten Chaim Weizmann. Ezer Weizmann war aber der erste israelische Präsident, der im Deutschen Bundestag sprach.
  3. Edvard Grieg (1843) ist wohl der bekannteste norwegische Komponist. Sein berühmtestes Werk ist Peer Gynt. Uraufgeführt wurde es am 24. Februar 1876. Der 24. Februar ist mein Geburtstag. Das muss als Rechtfertigung reichen.
  4. Oliver Kahn (1969) ist einer der Torwarte, die in die deutsche Fußballgeschichte eingegangen sind. Dreimal wurde er Welttorhüter des Jahres und als bisher einziger Towart bekam er 2002 die Auszeichnung als bester Spieler der Weltmeisterschaft. Ich schätze ihn, wenn er als Experte die Spiele auswertet. Kahn ist überzeugter Christ. Von ihm stammt der Satz: Das mit dem Fußballgott ist Blödsinn, es gibt nur einen Gott, und der hat mit Fußball nichts zu tun.
  5. Der Dannebrog wurde (1219) zwar nicht geboren. Er ist ja auch kein Mensch, sondern ein Kosename für die Flagge Dänemarks. Nach einer Legende soll sie dem König Waldemar II. in der Schlacht gegen die heidnischen Esten erschienen sein. Der Dannebrog gilt als die älteste Nationalflagge der Welt.

Es passt jetzt nicht zu den oberen Angaben; aber wenn ich es jetzt nicht noch schreibe, platze ich wohlmöglich noch vor Ungeduld. das möchte ich natürlich nicht riskieren. Bei meiner Lektüre in der Wikipedia stieß ich darauf, dass heute auch der Tag ist, an dem Walter Ulbricht seinen berühmten Satz sprach: Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten.

So, geschafft! Jetzt habe ich das doch noch unterbringen können.