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Von Katzen und Fischen

Kritische Würdigung einer fatalen Bemerkung

Nun ist es schon einen Monat her, dass der Ex-Bundestagsabgeordnete und Kreisvorsitzende der CDU Leipzig Dr. Thomas Feist am 1. März 2020 zur zweiten Runde der Leipziger Oberbürgermeisterwahl im Wahlstudio des Leipzig Fernsehen interviewt wurde. Nun, ich arbeite nicht für eine Tageszeitung. Ich darf mir die Zeit nehmen, über solche Ereignisse ein wenig länger nachzudenken. Und während des Corona-Lockdowns umso mehr.

Im nicht gerade inhaltsvollen Wahlkampf Sebastian Gemkows las man immer wieder den Slogan „Ein Leipziger für Leipzig“, der suggerieren sollte, dass der amtierende und nun auch zum dritten Mal gewählte Oberbürgermeister Burkhard Jung kein richtiger Leipziger sei. Danach gefragt, antwortete Dr. Feist mit dem unseligen Satz: „Es gibt den schönen Spruch: Wenn eine Katze im Fischladen Junge bekommt, sind das dann Fische?“

Weiter führte er aus: „Also, insofern denke ich mal, dass jemand, der hier aufgewachsen ist, der die Geschichte der Stadt hautnah miterlebt hat, hat nochmal ein anderes Verhältnis zur Stadt, als jemand, der erst seit 29 Jahren hier lebt, auch wenn der mittlerweile Leipziger sein mag.“

Nachdem der Moderator auf sein ganz persönliches Leipziger-Sein nach einem Zuzug vor zehn Jahren verwiesen hatte, klärte uns Feist weiter auf: „Die Geschichte Leipzigs fängt ja nicht vor zehn oder vor 29 Jahren an. Sondern die Geschichte Leipzigs fängt ja vorher an.“

Eigentlich sollte ich mich gar nicht sachlich auf dieses Argument einlassen. Um aber zu zeigen, wie absurd es tatsächlich ist, möchte ich die Lebensdaten beider Kandidaten mal nebeneinanderstellen.

Burkhard Jung wurde 1958 in Siegen geboren, absolvierte 1977 sein Abitur und studierte in Münster Germanistik und Evangelische Theologie. 1991 kam er 33-jährig nach Leipzig, um als Schulleiter das evangelische Schulzentrum aufzubauen. 2000 trat Jung, mittlerweile 42 Jahre alt, in die SPD ein. Er ist also länger Leipziger als eingeschriebener Sozialdemokrat. Bereits 1999 wurde Jung Beigeordneter der Stadt Leipzig für Jugend, Schule und Sport (seit April 2001 Beigeordneter für Jugend, Soziales, Gesundheit und Schule). Nachdem Wolfgang Tiefensee im November 2005 seinen Posten als Stadtoberhaupt zur Verfügung stellte, um selbst Bundesverkehrsminister zu werden, wurde Burkhard Jung, gerade noch 47 Jahre alt, zum neuen Leipziger Oberbürgermeister gewählt. Seit 2019 ist Jung Präsident des Deutschen Städtetages. Burkhard Jung ist nun 62 Jahre alt. 29 Jahre davon hat er in Leipzig gelebt. Und es sind die tätigen Jahre.

Sebastian Gemkow wurde 1978 in Leipzig geboren. Zum Fall der Mauer war Gemkow elf Jahre alt, ein Kind. Sein Abitur legte er 1997 an der Neuen Nikolaischule in Stötteritz ab, die 2012 ihr 500-jähriges Bestehen feierte, tatsächlich aber eine Neugründung bzw. Zusammenlegung von 1995 ist. Er trat 1998 in die CDU ein, studierte Rechtswissenschaften in Leipzig, Hamburg und Berlin und ließ sich 2006 als Rechtsanwalt in Leipzig nieder. 2009 zog er in den Sächsischen Landtag ein, mit einem Rekordergebnis. Er errang mit 28,5 % den damals niedrigsten Erststimmenanteil aller Wahlkreiskandidaten, die letztendlich das Mandat erhalten hatten. Der Wahlkreis Leipzig 2 ist ein hart umkämpfter und seit zwei Legislaturen in der Hand der Linken. 2014 gewann er knapp den Wahlkreis Leipzig 4 und wurde Sächsischer Staatsminister der Justiz. 2019 schließlich ließ er sich für den Wahlkreis Nordsachsen 2 aufstellen und wurde Sächsischer Staatsminister für Wissenschaft. Er ist mit einer Estin verheiratet und seit 2014 Honorarkonsul der Republik Estland. Sebastian Gemkow wird im Sommer 42 Jahre.

Über beide Kandidaten der OBM-Wahl 2020 in Leipzig lässt sich übereinstimmend sagen, dass sie augenscheinlich Vollblutpolitiker sind, die sich nicht vor Verantwortung scheuen. Man kann auch beiden nicht vorwerfen, sie wären nur Politiker geworden, weil sie nichts Anständiges gelernt hätten. Beide sind gut vernetzt. Beide sind in einem regulären arbeitsfähigen Alter. Beide sind verheiratet und haben Kinder. Die letzten zwei Punkte sind eigentlich nicht entscheidend für das Amt; aber es wird mit Blick auf das zur Diskussion stehende Zitat noch wichtig sein.

Was ist denn nun – abgesehen von Parteizugehörigkeit, Persönlichkeit und daraus resultierender persönlicher Sympathie – der Unterschied zwischen den beiden? Die Mutter des einen schob ihren Sohn im Kinderwagen durch Siegen, die Mutter des anderen tat dies in Leipzig. 1996 wurde Sebastian Gemkow volljährig. Da lebte Burkhard Jung bereits fünf Jahre in Leipzig. Der einzige Unterschied im Grad an Leipziger-Sein zwischen Jung und Gemkow, sind die ersten 13 Jahre im Leben des Herausforderers. Oh, da hätte sich einer aber zwei Staatsexamen sparen können, hätte er damals schon gewusst, dass ihn seine Kindheit einst entscheidend qualifizieren werde!

Kommen wir zurück zum Abend des 1. März 2020 und dem fatalen Satz des Dr. Feist: „Es gibt den schönen Spruch: Wenn eine Katze im Fischladen Junge bekommt, sind das dann Fische?“

Ganz offensichtlich setzt er sowohl Katzen als auch Fische mit Menschen gleich; mit Menschen unterschiedlicher Herkunft. Nun wollte Dr. Feist sicherlich Herrn Jung etwas Scherzhaft als Zugezogenen, als Unhiesigen ausgrenzen vom wohlig-warmen Leipziger Stammtisch, an dem man nur Platz nehmen darf, wenn man die gesamte Leipziger Geschichte selbst miterlebt hat, von urkundlicher Ersterwähnung über Verleihung des Messeprivilegs bis zur Ausgründung des Volksgerichtshofs. Tatsächlich zielt der Satz aber auf die Kinder der zugezogenen Katze. Diese werden laut Dr. Feist auch niemals in Leipzig heimisch werden können, da ihr Vater ein Zugezogener ist. Wow! Das ist starker Tobak.

Deutsche Staatsbürger mit einem Migrationshintergrund mögen nun milde lächeln. Das kennen sie aus ihrem Alltag. Beispielsweise die Kinder einer Schwarzen, welche bereits die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt, sind von ihrer Geburt an natürlich auch Deutsche. Aber sie werden sich genauso natürlich mit ihrer Hautfarbe von der Mehrheitsgesellschaft unterscheiden, sodass sie wahrscheinlich ihr gesamtes Leben lang gefragt werden, wo sie denn wohl eigentlich herkämen. Manchmal mag man es erklären wollen. Meistens wird es nerven. Der Fragende mag auf das äußerliche Merkmal der Hautfarbe verweisen. Und die Statistik gibt ihm erstmal recht: Die Mehrheit der Deutschen ist weiß. Die Mehrheit der Schwarzen ist nicht deutsch. Eine höfliche Frage nach der Herkunft scheint berechtigt.

Innerhalb Deutschlands soll es keinen relevanten Unterschied nach regionaler Herkunft geben. Deshalb wurde – neben dem Diskriminierungsverbot in Artikel 3, Satz 3 – die Freizügigkeit mit Artikel 11 als ein Grundrecht aller Deutschen unveränderlich verankert. Und für die EU ist das in Artikel 45 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union geklärt. Weiterhin behandelt dies auch der Artikel 13 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948, ohne hier auf staatsrechtliche Details einzugehen.

Was ist das nur für ein altvorderes Denken, wenn man nun jemanden, der seine Freizügigkeit nutzt, vor Ort als einen Bürger zweiter Klasse behandelt, weil er nicht dort geboren wurde? Schränkt das die Freizügigkeit nicht ein, weil man seinen Status als gleichberechtigter Bürger verliert? Ist denn nun jeder, der aus seinem Heimatdorf aufbricht, sei es nur, um das Inzesttabu zu wahren, ein „vaterlandsloser Geselle“? Ist man innerhalb Deutschlands nach einmaligem Umzug bis zu seinem Lebensende der Neue oder der Fremde? Und soll sich das sogar, wie das Bild von der Katze und den Fischen unterstellt, auf die Kinder des Neuen, die Kinder des Fremden übertragen?

Seit März 2019 ist Dr. Feist der sächsische Beauftragte für das jüdische Leben. Damit ist er der offizielle Ansprechpartner für jüdische Gemeinden im Freistaat. Außerdem berät er die Landesregierung zu Fragen der Pflege des historischen Erbes und die Erinnerung an den Holocaust.

Nachdem die Heidenchristen in der frühen Kirche das Ruder übernommen hatten, galten der Mehrheitsbevölkerung des Römischen Reiches und später Europas die Juden als ein störender Fremdkörper. Aus der Spätantike sind nicht nur die Zerstörungen von Synagogen, sondern auch erzwungene Massentaufen überliefert. Nun sind diese Taten natürlich nicht zu rechtfertigen, aber man kann doch sehen, dass sie auf eine – erzwungene – Integration der jüdischen Bevölkerung abzielten.

Das änderte sich über das Mittelalter und die frühe Neuzeit in Schüben. Im Vormärz erkannte Heinrich Heine im Taufzettel das Entre Billet zur Europäischen Kultur, sieht sich aber sein ganzes Leben vom nie abzuwaschenden Juden verfolgt. Er schwärmt, dass ihm das Deutsche das sei, was dem Fisch das Wasser ist, und dass er aus diesem Lebenselement nicht herauskönne. Gleichzeitig gesteht er, alles Deutsche wirke auf ihn wie ein Brechpulver.

Konkret wurde Heine in Göttingen die Mitgliedschaft in einer Burschenschaft verweigert, da Juden, als solche, kein Vaterland hätten und für das deutsche Vaterland kein Interesse haben könnten. Trotz Taufe 1825 wird Heine nicht in Hamburg als Rechtsanwalt zugelassen, nicht in München zum Professor berufen und – erneut in Hamburg – nicht zum Ratssyndikus ernannt. Literarisch sah er sich von August Graf von Platen verächtlich gemacht und als knoblauchfressender Jude diffamiert, während dieser seiner Homosexualität wegen lieber im italienischen Exil lebte.

Heinrich Heine war schon 23 Jahre tot, als schließlich Wilhelm Marr 1879 mit seiner Schrift Der Sieg des Judenthums über das Germanenthum den Begriff des Antisemitismus prägte. Im Trend der Säkularisierung sowohl unter vormals christlichen als auch jüdischen Gruppen wäre eine Taufe kein Zeichen der Anpassung und Integration gewesen. Also zielte Marr auf die absurde Idee einer jüdischen Rasse ab. Wie es von dort aus weiterging, steht in unseren Geschichtsbüchern. In den Nürnberger Rassengesetzen von 1935 legten die Nationalsozialisten genau fest, wer als ein Jude zu gelten hatte oder als Deutschblütiger. Mischlingen war die Ehe nur unter bestimmten Voraussetzungen gestattet.

Die Deutschen Christen erklärten 1932 vorauseilend, dass sie in der Judenmission eine schwere Gefahr für ihr Volkstum sähen. Sie sei das Eingangstor fremden Blutes in ihren Volkskörper. Sie lehnten die Judenmission in Deutschland ab, solange die Juden das Staatsbürgerrecht besäßen und damit die Gefahr der Rassenverschleierung und Bastardierung bestünde.

In Leipzig stolpert man heute in den Straßen über mehr als 500 kleine Gedenksteine. Jeder einzelne führt uns vor Augen, wohin Ausgrenzung und Hass in letzter Konsequenz führen.

Der Satz, den Dr. Feist am 1. März 2020 von sich gab, hat eine Reihe von Reaktionen ausgelöst. Henning Homann, der Generalsekretär der SPD Sachsen, antwortete am folgenden Tag, dass Leipzigern ihr Leipziger-Sein abzusprechen, nicht nur unwürdig sei; es zeige auch, wie wenig er eine wachsende, internationale Stadt verstanden habe, obwohl er dort geboren sei. Solche Sprüche taugten vielleicht für den Stammtisch, aber selbst im Fischladen und erst recht im Rathaus sorgten sie nur für Kopfschütteln.

Auf Twitter, wo Dr. Feist als „Freiberuflicher Netzwerker, Beauftragter für Jüdisches Leben in Sachsen.“ firmiert, legte er am 2. März mit zwei weiteren Tweets nach. Erst verwies er auf ein YouTube-Video; ein Ausschnitt aus einem Programm von Eberhard Cohrs und Horst Feuerstein aus dem Jahre 1964 mit der Bemerkung: „Katzen und Fische. Kennt ihr nicht, ihr Kulturbanausen?“ Und danach schloss er für sich die Affäre ab mit dem Tweet: „Ein Leipziger für Leipzig“ ist etwas anderes als „Deutschland den Deutschen“. Wer beides gleichsetzt unterstellt böswillig etwas Falsches. Scheint aber leider gerade in Mode zu sein. #lasttweet [Kommasetzung wie im Original]

Über den als Beleg herangezogenen Sketch von Eberhard Cohrs wird noch zu sprechen sein. Interessant ist aber auch, wer dieses Video bei YouTube bereithält. Das Konto trägt den Benutzernamen Saebelzahnbiber. Der Sketch wurde bereits vor neun Jahren von ihm hochgeladen. Im Sommer 2015 hat der Nutzer das letzte Mal Videos auf YouTube gestellt. Die Titel der jüngsten drei Videos sind: „Mohammedaner tötet Lebensgefährtin mit Messer“, „Bosnischer Moslem tötet 3 Menschen im Ramadan in Graz“ und „Arbeitslose Deutsche reparieren in Bamberg Fahrräder für Fachkräfte…“ [gemeint sind Asylbewerber]. Nachdem sich Dr. Feist also dem Vorwurf der Fremdenfeindlichkeit, des Rassismus und der Nähe zur Blut-und-Boden-Mentalität ausgesetzt sah, wählte er zur Verteidigung den Saebelzahnbiber als Gewährsmann. Nun, es gab wohl schon glücklichere Entscheidungen.

Man muss natürlich vorsichtig sein. Vor der Kamera soll ein Politiker schnell und pointiert liefern. Und der Zuschauer zuhause kann später genau analysieren, warum er dieses Mal entrüstet ist. Und in dem schließlich aufkommenden Shitstorm wird man ohnehin früher oder später mit Hitler verglichen. Der Rechtsanwalt Mike Godwin hat dies 1990 in einem Godwins Gesetz genannten Bonmot zusammengefasst: „Mit zunehmender Länge einer Online-Diskussion nähert sich die Wahrscheinlichkeit für einen Vergleich mit den Nazis oder Hitler dem Wert Eins an.“

Aber die menschenverachtende Ideologie der Nationalsozialisten ist eben der Gipfel eines Denkens, das aus Herkunft von Menschen Qualitätsabstufungen – und damit Wertigkeiten des Lebens – aufstellt. Vielleicht ist sie sogar ihre logische Konsequenz. Und deshalb müssen wir auch so entschieden ihren Anfängen wehren.

Außerdem hat sich – quasi als Gegenbewegung zu Godwins Gesetz – etabliert, dass man seine Rede mit einem bestimmten Vorsatz beginnt: „Ich bin kein Rassist, aber …“ erlaubt einem heutzutage, jeden rassistischen Scheiß in die Welt zu posaunen. Eine Deutung in kritischer Richtung hat der Redner zuvor einfach selbst ausgeschlossen.

Doch woher kommt die Redewendung von der Katze im Fischladen überhaupt? Und was bedeutet sie ursprünglich? Sie ist, um das Offensichtliche doch einmal aufzuschreiben, nicht geprägt worden, um Menschen nach ihrem Geburtsort zu unterscheiden.

Die Katze ist als Kulturfolger dem Menschen lang bekannt und hilft diesem, seine Wohn- und Werkstatt von Ungeziefer freizuhalten. Dafür muss der Mensch sich um die Ernährung der Katze und ihres Nachwuchses in kargeren Zeiten kümmern. Von den Ägyptern wurden Katzen als Götter verehrt. Eine Unzahl von Facebook-Posts lässt erahnen, dass sich an diesem Status über die Jahrtausende nur wenig geändert hat.

Eine gute Idee ist der Blick in das Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten, welches der Volkskundler und Erzählforscher Lutz Röhrich 1973 herausgegeben hat. Katzen sind in den deutschen Redewendungen allgemein Sympathieträger. Aber ein Mensch möchte trotzdem nicht gern wie eine Katze behandelt werden und vom Boden essen müssen, sprich vom Katzentisch. Und manchmal tritt die Katze in Konkurrenz zum Menschen: „Das soll mir keine Katze fressen“ bedeutet, den Happen hebe ich mir für später auf. Gibt man den Happen aber auf, ist er für die Katz. Auf die Ausrede „die Katze hat’s gefressen“ lautet eine gewitzte Antwort: „Ja, die mit zwei Beinen.“ Wenn eine menschliche Naschkatze krank wird, bemerkt die Mutter: „Die Katze mag die Fische nicht.“

Wer den Bock zum Gärtner macht, hat der Katze den Hering anvertraut. Das sollte man nicht tun, niemals, oder doch erst dann, wenn die Katze Eier legt. Denn eine Katze lässt das Mausen nicht.

Der Fisch, besonders der Hering, steht in Redensarten öfters als Bild des Geringwertigen und Kleinen. Ein dürrer oder intellektuell substanzloser Mensch ist ein schmaler Hering. Zu Ostern, am Ende der Fastenzeit, sieht man aus wie ein ausgeweideter Hering. Wessen Erfolgsaussichten gering sind, wird hier keinen Hering braten.

Heringe sind eine weitverbreitete Fastenspeise und allgemein Hauptnahrungsmittel in vielen Klöstern. Abraham a Sancta Clara lässt im 17. Jahrhundert in seinem „Judas“ Menschen gleich Heringen aufeinander liegen. Das ist bis heute nicht nur als bildhafte Sprache mit Ölsardinen oder Kieler Sprotten üblich. Otto von Bismarck, der den Hering so sehr liebte, dass man später einen nach ihm benannte, war sich sicher: „Wenn Heringe genau so teuer wären wie Kaviar, würden ihn die Leute weitaus mehr schätzen.“

Doch schon allein der Geruch von Fisch lässt einen nichts Gutes erahnen. Daher antwortete Martin Luther auf Ausreden, Lügen oder allgemein verdächtige Sachen: „Bleib daheim mit deinen faulen Fischen!“ Wenn ich nun die Wahl hätte, durch welches Tier ich in einer Redewendung dargestellt werden wollte, ich zöge deutlich die Katze dem Fisch vor.

Lutz Röhrich schreibt in seinem Lexikon – leider ohne einen Verweis auf Region oder Zeitalter: Auf etwas Unmögliches weist die Wendung „Die Katze im Fischladen bringt auch keine Heringe zur Welt“, d.h. das ist zu viel verlangt.

Man könnte es so verstehen, dass ein Fischhändler einen Lieferanten seiner Waren braucht und eine Katze, um das Ungeziefer fernzuhalten. Aber beides von einer Katze zu verlangen, ist eben zu viel. So könnte man es dann auch auf Menschen übertragen: Wenn du mit einem Freund über ernste Dinge sprichst, beschwere dich nicht, dass du nicht mit ihm lachen kannst. So wird ein Schuh daraus. Eine englische Entsprechung wäre vielleicht: You can’t have a cake and eat it, too (Man kann nicht den Kuchen behalten und gleichzeitig aufessen).

Nun beruft sich der Kulturwissenschaftler Dr. Feist aber auf diesen Sketch aus dem Jahre 1964 mit Eberhard Cohrs und Horst Feuerstein. In der kleinen Szene geht es zu Beginn um ein Formular, das die von Cohrs gespielt Figur angeleitet von seinem Antagonisten auszufüllen hat. In Dresden sei er geboren, sagt Cohrs und spielt dabei auch sich selbst. Darauf meint Feuersteins Charakter, er könne ja schreiben, dass er ein Sachse sei. Das verneint Cohrs nun. Da seine Eltern aus Köln stammten und Rheinländer seien, müsse er ja auch ein Rheinländer sein und kein Sachse. Der Streit geht noch einige Zeit hin und her, bis zu der Pointe aus dem Munde Cohrs: Mensch, wenn ’ne Katze im Fischgeschäft Junge kriegt, sind’s doch keine Heringe!

Dies ist nach meinen Recherchen das erste Mal, dass diese sprichwörtliche Redensart eins zu eins auf einen Menschen angewendet wurde. Warum ist nun dieser Sketch lustig, der Ausspruch des Dr. Feist aber immer noch ein Skandal?

Zunächst gibt es selbstverständlich einen grundlegenden Unterschied zwischen einem Künstler auf der Bühne und einem Politiker im Mediengespräch. Weiterhin wendet Cohrs diesen Satz auf sich selber an, Dr. Feist aber auf einen anderen. Der dritte und entscheidende Punkt ist die Sprache. Cohrs spricht diesen Satz in tiefstem Sächsisch und widerlegt seine Aussage damit unmittelbar. Es mag sein, dass seine Eltern Rheinländer sind. Wer aber in Dresden geboren und aufgewachsen ist, zudem ein solches Sächsisch spricht, der ist definitiv kein Rheinländer. Das von sich immer noch zu behaupten, ist das Absurde, was den Sketch so witzig sein lässt. Zum Zitat eignet sich der Satz aber nicht. Denn seine direkte, semantische Aussage ist nicht, was Eberhard Cohrs uns tatsächlich damit sagen wollte.

Eberhard Cohrs ist im Übrigen auch eine schillernde Persönlichkeit. Sein Vater kam aus Uelzen und seine Mutter aus dem Vogtland. Er selbst wurde 1921 in Dresden geboren. Im Dritten Reich war er Mitglied der Waffen-SS und gehörte zur Wachmannschaft des KZ Sachsenhausen. Im November 1945 absolvierte er seine Komikerprüfung vor der Internationalen Artisten-Loge. 1977 kehrte er nach einem Gastspiel in der Bundesrepublik nicht in die DDR zurück. Im Westen hatte er trotz namhafter Unterstützung kein Fernsehglück, da das Publikum sein Sächsisch nicht verstand. Nach der Wende ging er in den Osten zurück und arbeitete unter anderem für den MDR. In die Schlagzeilen geriet er ein Jahr vor seinem Krebstod 1999, weil er im Rausch seine Frau mit sieben Schüssen lebensgefährlich verletzt hatte.

Doch zurück zur Redewendung von der Katze im Fischladen, die seit 1964 eine beachtliche Karriere im rechtsnationalen Milieu hingelegt hat. In einer Ausgabe des Spiegels von 1977 findet sich ein Interview mit Martin Webster, einem führenden Mitglied der britischen Nationalen Front. Er möchte Britanniens Farbige vertreiben, weil sie seiner Ansicht nach nicht auf seine Insel gehörten. Auch wer seit Generationen in England lebe, solle das Land wieder verlassen, wenn er nicht zum ethnischen Grundstock seiner angelsächsisch-keltischen Rasse gehöre. Der Artikel endet pointiert mit der Begründung Websters: Wenn eine Katze Junge in einer Fischkiste kriegt, werden die dadurch keine Fische.

Zum Terroranschlag eines 18-Jährigen mit deutscher und iranischer Staatsbürgerschaft am 22. Juli 2016 in München twitterte Lutz Bachmann am Tag darauf: Deutsch-Iraner? Was ist denn das? Wenn ne Katze im Fischladen Junge bekommt sind’s dann „Karthäuser-Heringe“ oder was?

Als Dr. phil. mag man Herrn Feist zutrauen, Hintergründe und Konnotationen angemessen zu würdigen. Vielleicht sieht er doch irgendwann ein, welch fatalen Fehler er mit seiner launigen Bemerkung über Katzen und Fische begangen hat.

Dr. Feist steht der sächsischen Landeskirche nah. Wenn diese auch recht problematische Strömungen aufweist, lässt dies doch vermuten, dass er ebenfalls der Botschaft Jesu nicht ganz fern ist. Mir fällt in diesem Zusammenhang eine im Markusevangelium überlieferte Geschichte ein. Maria, die Mutter Jesu, kommt gemeinsam mit seinen Brüdern zu dem Haus, in dem Jesus gerade weilt, und lassen ihn herauszitieren.

Und das Volk saß um ihn. Und sie sprachen zu ihm: Siehe, deine Mutter und deine Brüder draußen fragen nach dir. Und er antwortete ihnen und sprach: Wer ist meine Mutter und meine Brüder? Und er sah rings um sich auf die Jünger, die im Kreise saßen, und sprach: Siehe, das ist meine Mutter und meine Brüder! Denn wer Gottes Willen tut, der ist mein Bruder und meine Schwester und meine Mutter. (Markus 3, 32–35)

Mir hat diese Erzählung schon immer imponiert. Und im Zusammenhang mit dem Missionsbefehl sind alle Menschen Brüder und Schwestern im Herrn. In diesem Sinne sehe ich in Thomas Feist ein verirrtes Schaf, dem ich nur allen Mut zur Umkehr wünschen kann.

Manch einer mag es übertrieben finden, über einen hingeworfenen Satz so lange nachzudenken. Immerhin ist schon ein ganzer Monat vergangen. Und heute haben wir doch ganz andere Sorgen als die Worte eines ehemaligen Bundestagsabgeordneten. Doch darauf möchte ich mit einem weiteren Zitat aus der Umgebung der Bibel (den Apokryphen des Alten Testaments) antworten:

Du umzäunst dein Hab und Gut mit Dornen; warum machst du nicht vielmehr vor deinen Mund Tür und Riegel? Du wägst dein Silber und Gold, bevor du es aufbewahrst; warum wägst du nicht auch deine Worte auf der Goldwaage? Hüte dich, dass du nicht dadurch ausgleitest und hinfällst vor denen, die auf dich lauern. (Sirach 28, 28–30)

Unser (Frankfurter, Leipziger, Weimarer) Johann Wolfgang von Goethe hat einmal gesagt – und da mag ein indisches Sprichwort Pate gestanden haben –, dass Kinder von ihren Eltern sowohl Wurzeln als auch Flügel bekommen sollten. Das ist natürlich nicht botanisch oder medizinisch zu verstehen. Es meint wohl, dass wir unsere Herkunft und unsere Vergangenheit nicht verleugnen oder gar vergessen sollen und dabei aber auch den Mut nicht verlieren dürfen, aufzubrechen und etwas Neues zu wagen.

Es gehört nämlich zu den Wundern unserer Welt, dass ein Migrant etwas Neues werden kann (z.B. ein Leipziger, ein Sachse, ein Deutscher), ohne aufzuhören etwas anderes zu sein (z.B. ein Siegener oder ein syrischer oder afghanischer Flüchtling).

Wenn man selbst nicht ganz da ist …

Die Zeit der Isolation ist wahrlich eine der Einkehr. Und heute bin ich auf der Festplatte meines Rechenrs eingekehrt. Dort habe ich die Aufnahmen einer Veranstaltung aus dem Oktober 2018 entdeckt.

Wenn du nicht da bist … – eine multilinguale Lesung. So hieß die Veranstaltung. Die Übersetzer*innen meines kleinen Büchleins über das Verliebtsein und Vermissen lasen in ihrer jeweiligen Muttersprache meine Geschichte. Anna Baldauf leitete eine Gesprächsrunde über die Wonnen und Nöte des Übersetzens. Und Falko Linß sowie die Band Emerge spielten schmachtende Liebeslieder.

Und einmal spielte ich auch ein Medley aus drei Songs in a-Moll:

Die Videos werde ich in den nächsten Stunden zu YouTube hochladen.

Die Bücher in mittlerweile 19 Sprachen gibt es im Buchhandel oder direkt beim Verlag:
https://www.epubli.de/shop/autor/Fabian-Williges/2545

Geburtstage der Wanderer zwischen den Welten

Es gibt diese berühmten Persönlichkeiten, bei deren Zuordnung man Probleme hat. Nennt man beispielsweise im Deutschen Reich geborene Menschen jüdischer Abstammung, die in die USA flohen und dort zu Ruhm und Ehren kamen, Deutsche, Juden oder Amerikaner? Es kommt wohl ganz auf den Einzelfall an. Schriftsteller im Exil blieben meist Deutsche, unabhängig der Staatsbürgerschaft. Naturwissenschaftler verbinden wir dann wohl eher mit ihrer konkreten Wirkungsstätte.

Auch in anderen Fällen kann die individuelle Biographie von historischen Umwälzungen gekreuzt werden. Dann finden wir die Persönlichkeit plötzlich auf zwei Seiten wieder. Heute gibt es eine Top-Five-Liste von Geburtstagskindern, die sich auf unterschiedlichen Feldern aber immer auch zwischen den Welten bewegten.

  • Bāyezīd II. (1447–1512) – Als Sultan des Osmanisches Reiches nahm er die aus Spanien vertriebenen Juden auf. Er soll dazu gesagt haben: Wie töricht sind die spanischen Könige, dass sie ihre besten Bürger ausweisen und ihren ärgsten Feinden überlassen.
  • Nikolaus von Amsdorf (1483–1565) – Er war 1542 in Naumburg der erst lutherische Bischof, der in Deutschland eingesetzt wurde. Sein katholischer Konkurrent und Nachfolger Julius von Pflug war dann bereits der letzte Bischof in Naumburg überhaupt. In der Rechtfertigungslehre vertrat er pointiert die extreme Position: gute Werke sind schädlich zur Seligkeit.
  • Joseph Conrad (1857–1924) – Als Sohn polnischer Adeliger im russischen Reich in Berdytschiw geboren, das heute in der Ukraine liegt. Erst in seinen Zwanzigern lernte er Englisch. Heute gilt er als einer der wichtigsten englischsprachigen Schriftsteller des 19. Jahrhunderts. Zum Thema Sprache wusste er auch: Küsse sind das, was von der Sprache des Paradieses übriggeblieben ist.
  • Anna Freud (1895–1982) – Sie ist mit dem berühmten Namen zuallererst als Tochter Sigmund Freuds bekannt. Doch ihre eigenen Beiträge gerade zur Kinderpsychoanalyse sind bemerkenswert. Ein schöner Spruch von ihr für jedes Poesie-Album lautet: Wie wunderbar ist es, dass niemand auch nur einen Moment warten muss, bevor er anfängt, die Welt zu verbessern.
  • Katarina Witt (*1965) – In den 80er Jahren war sie die Eiskunstläuferin der DDR schlechthin. Olympia- und Weltmeistertitel häuften sich bis 1988. 1994 trat sie erneut an, diesmal für das wiedervereinigte Deutschland. Sie belegte einen respektablen 7. Platz bei Olympia und wurde deutscher Vizemeister. Hier kommt kein Zitat aber ein bemerkenswerter Fun Fact: Der Playboy von 1998 mit Aktbildern von Katarina Witt ist nach dem mit Marilyn Monroe erst die zweite Ausgabe, die weltweit ausverkauft war.

Wenn du nicht da bist … – Nachlese zur Veranstaltung

Gestern Abend fand sie nun endlich statt, die multilinguale Lesung mit Konzert unter dem Motto Wenn du nicht da bist … Rund 50 Personen genossen die Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Sprachen und beschäftigten sich mit Fragen der Übersetzung und der Liebe.

Zwei Mal lasen die Übersetzer*innen – und zwei freundliche Vertretungen – das Buch komplett vor: Ungarisch, Tschechisch und Niederländisch und danach Lettisch, Arabisch und Türkisch. So lang ist das Buch ja nun auch nicht. Damit aber der Zuhörer, der nicht zufällig diese sechs Sprachen beherrscht, der Lesung auch folgen kann, waren die Zeichnungen des Buches und der deutsche Ausgangstext in einer Präsentation an die Wand geworfen.

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Zwischen den beiden Leserunden moderierte Anna Baldauf ein Podiumsgespräch mit den Übersetzer*innen über die spezifischen Herausforderungen ihrer Übersetzung. Neben einigen Fachsimpeleien zu den typisch deutschen Determinativkomposita wurde aber vor allem klar, wie international die VILLA als soziokulturelles Zentrum aufgestellt ist. Hier sind Begegnung und Austausch in einem geschützten Rahmen möglich.

Neben dem gesprochenen Wort sollte auch dem gesungenen genügend Raum gegeben werden. Zwischen den einzelnen Beiträgen durfte einmal ich einige Liebeslieder singen, dann folgte Kristýna Straková. Schließlich trat der in Leipzigs Innenstadt weit bekannte Straßenmusiker Falko Linß auf, um der von mir schon häufiger in diesem Blog erwähnten Band Emerge die Bühne zu überlassen.

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Der Eintritt zu dieser Veranstaltung war frei. Allerdings bat ich um eine Zuwendung zugunsten des VILLA e.V. Damit das Spenden etwas mehr Spaß macht, war es mit einer Umfrage zur Sprachkompetenz unseres Publikums gekoppelt. Neun Sprachen standen in den Spendensäulen (noch einmal Dank an den Makerspace für diese Arbeit!) zur Auswahl. Der Betrag sollte das Sprachniveau anzeigen:

Sprachniveau

Und ich denke, das Ergebnis kann sich sehen lassen:

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Ich habe die Spendenbeträge mal passend zum Buch in einem Apfeldiagramm aufbereitet:

Spendendiagramm

In Summe ergibt das einen Spendenbetrag von 132,47 EUR.
Vielen Dank an alle Besucher und Mitmacher!

Der Flyer zur Lesung

Der 27. Oktober 2018 rückt langsam immer näher. Um 20:00 Uhr beginnt dann im Soziokulturellen Zentrum die VILLA die mutilinguale Lesung aus meinem Buch Wenn du nicht da bist …, das bis dahin in 16 Sprachen erhältlich sein wird. Ich freue mich drauf und bin gespannt, wie die Sprachenvielfalt beim Publikum ankommen wird.

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Das Buchcover mit der fehlenden Figur vor dem Liebenden gibt es jetzt auch als Flyer im Postkartenformat. Man kann diese Postkarte gut als Einladung an eine geliebte Person verschicken. Im VILLA-Café und im VILLA-Keller liegt der Flyer aus. Verbreitet Liebe!

Folie2_checked_querIch habe den Text romantisch gehalten. Aber an dieser Stelle möchte ich auch verraten, mit welchen Personen ihr auf der Bühne werdet rechnen können:

  • Arabisch – Aboulhakim Halila
  • Deutsch/Englisch – Fabian W. Williges
  • Georgisch – Nino Chokhonelidze
  • Lettisch – Antra Kroll
  • Tschechisch – Kristýna Straková
  • Ungarisch – Ildikó Bába

Damit der Abend nicht zu trocken wird, werden wir musikalisch in Liebesstimmung versetzt durch:

  • Falko Linß
  • Emerge
  • Kristýna Straková
  • Fabian W. WIlliges

Ich denke, das wird eine schöner Abend!

Top-Five-Geburtstagsliste am Ursulatag

Der 21. Oktober ist der Ursulatag. Die Hl. Ursula ist höchstwahrscheinlich keine historische Gestalt. Als Köln von den Hunnen belagert wird, bietet ein hunnischer Prinz ihr die Verschonung ihres Lebens im Gegenzug zu einer Ehe mit ihm. Sie lehnt ab und erleidet lieber das Martyrium.

Der Ursulatag gilt als letzter Erntetag. Was ein Landwirt bis heute nicht eingeholt hat, wird wohl eher verderben als geerntet werden. Eine andere Bauernweisheit sieht diesen Tag eher als ausblick auf den bevorstehenden Winter: Wie der Ursulatag anfängt, so soll der Winter beschaffen sein.

In diesem Spannungsfeld von Ernte und Aussaat soll auch das eigentliche Thema meines Blogeintrags stehen, eine Top-Five-Liste von Geburtstagen. Die Jubilare meiner Liste gaben ihren Namen für Dinge, die wir heute noch kennen und nutzen. Nur in kontrapunktischer Funktion nenne ich hier Kim Kardashian, die – außer bekannt zu sein – wohl keinen anderen Grund für ihre Bekanntheit ernsthaft nennen könnte. Vielleicht wird ihr Name später mal für den endgültigen Niedergang der Unterhaltungsindustrie stehen.

  • Gustav Langenscheidt (1832–1895) – Langenscheidt entwickelte Unterrichtsbriefe zum Erlernen der französischen Sprache und kann somit als Vater des Fernunterrichts gelten. Kein Verlag interessierte sich dafür. Deshalb gab er sie schließlich selbst heraus, so wie ein deutsch-französisches und später noch ein deutsch-englisches Wörterbuch. Heute kennt wohl jeder deutsche Sprachschüler den Namen Langenscheidt.
  • Alfred Bernhard Nobel (1833–1896) – Insgesamt 355 Patente meldete der schwedische Chemiker Nobel an. Seine Erfindungen brachten vor allem die Rüstungsindustrie voran und brachten in der Folge unendliches Leid über die Menschheit. Seinen Nachlass vermachte er für die Zukunft jährlich denjenigen, die im vergangenen Jahr der Menschheit den größten Nutzen erbracht haben.
  • Georg von Siemens (1839–1901) – Er ist nicht der berühmteste Spross seiner Familie. Der in Torgau geborene Bankier ist lediglich ein Neffe zweiten Grades der großen Erfinder. Aber sein Vater stellte einen großen Teil des Gründungskapitals der späteren Siemens AG. Unser Geburtstagskind selbst wurde einer der Gründungsdirektoren der Deutschen Bank.
  • Hermann Müller (1850–1927) – Der Rebzüchter aus dem Kanton Thurgau hat der Welt den Müller-Thurgau hinterlassen, eine Rebsorte, die er selbst als Mischung von Riesling und Silvaner verstand und sie daher Rivaner nannte. Erst durch die Gentechnik kam 1996 heraus, dass nicht der SIlvaner beteiligt war, sondern die Rebe Madeleine Royale (wiederum vom Gutedel). Der Bekömmlichkeit des Müller-Thurgau tut das keinen Abbruch.
  • Leo Kirch (1926–2011) – Vom Filmverleih zum Medienmogul und schließlich zu einem der berühmtesten Bankrotteure der Bundesrepublik, woran Mitarbeiter der Deutschen Bank nicht ganz unschuldig sein sollen. Sein erster Film war La Strada von Federico Fellini. Das filmische Niveau sank dann allerdings mit seiner wachsenden wirtschaftlichen Macht. Die Kirch-Gruppe versorgte das ZDF mit Hollywoodfilmen, bis Kirch einer der wichtigsten Vorreiter im Privatfernsehen wurde. Sat1 und ProSieben sowie DF1 (heute Sky) gehörten ebenfalls zu seinem Wirtschaftsimperium.

Aktuelle Euphemismen

Um es kurz zu machen: Mich widert die ganze rechte Scheiße in Sachsen dermaßen an, dass ich auch sprachlich die Contenance verliere, wenn ich auch nur einen Augenblick über die Lage in Orten wie Freital nachdenke. Wenn es nur ein paar kahlgeschorene und fehlgeleitete Dorftrottel wären, die mal ein wenig rumbrüllen wollen, um sich Brüllen zu hören, könnte ich das einfach ignorieren. Aber dass in den Asylantenheimen Flüchtlinge auf einen rechten Mob schauen müssen, von dem sie nicht sagen können, ob er sie letztendlich am Leben ließe, erschreckt mich so sehr, dass ich mich schnell auf einen Nebenschauplatz flüchten muss, um nicht vollständig handlungsunfähig zu werden.

Der damalige Gouverneur von Kalifornien Hiram Warren Johnson sprach 1914 den seitdem oft zitierten Satz: das erste Opfer des Krieges ist die Wahrheit. Und die Wahrheit hat ein so zartes Wesen, dass es nicht einmal Stiefel braucht, um sie zu zertreten. Es reichen allein schon Worte, falsche Worte. Das wussten auch die Nazis, die mit Goebbels an der Spitze einen Propaganda-Apparat schufen, welcher die Kunst des Euphemismus auf seine bisherige Spitze trieb. Victor Klemperer hat die Sprache der Nationalsozialisten einer äußerst luziden Studie unterzogen, die bereits 1947 unter dem Titel LTI – Notizbuch eines Philologen erschien. Die Abkürzung LTI steht dabei für den Terminus Lingua Tertii Imperii und karikiert damit bereits einen Aspekt der Nazisprache – den AF (=Abkürzungsfimmel), der einen ersten Schritt der Verschleierung darstellt.

Dem Geist Klemperers folgend möchte ich meine Top-Five-Liste den aus meiner Sicht schlimmsten Euphemismen der neuen deutschen Rechten widmen:

  1. PEGIDA und LEGIDA etc. pp.
    Als ich das erste Mal von PEGIDA hörte, musste ich des Klanges wegen an Paddington Bear denken, der mit seinem „Things are always happening to me. I’m that sort of bear.“ zumindest auch in die Kategorie Problembär fällt. Doch das war bestimmt nicht beabsichtigt. Dennoch haftet all diesen Abkürzungen der Demonstrationsinitiativen etwas gewollt Harmloses, ja, fast Albernes an. NPD klingt ja so historisch nah nach NSDAP, aber LEGIDA scheint eher ein neuer Hit von Ricky Martin zu sein, gleich nach Living la Vida Loca. Vielleicht wurden sie deshalb auch so lange (bis heute) in ihrer Gefährlichkeit unterschätzt.
  2. besorgte Bürger und Patrioten
    Man muss sich nur einige der geifernden Kläffer vor dem Asylbewerberheim in Freital in den Nachrichten anschauen, und man weiß, dass dies keine besorgten Bürger sind, die ihrer Sorgen wegen ein paar Fragen stellen möchten, um Klärung und Erleichterung zu erfahren. Mich erinnern diese leider eher an das gesunde Volksempfinden, welches 1938 in der Reichskristallnacht in einen spontanen Volkszorn ausbrach.
    Ich weiß, dass der Begriff des Patrioten in weiten Kreisen Deutschlands einen sehr schlechten Ruf genießt. Pegida und Konsorten helfen da bestimmt nicht. Ich möchte das Wort einmal probehalber auf mich anwenden: Ich bin froh, in einem wohlhabenden Rechtsstaat hineingeboren worden zu sein. Ich kann mich mit vielen Kulturschaffenden der deutschen Geschichte identifizieren. Ich liebe die deutsche Sprache (gerne auch mal ohne sächsische Einfärbung). Ich schaue die beiden Fußballweltmeisterschaften und wünsche jeweils „meiner“ Nationalmannschaft den Erfolg des Sieges. Ich denke, man kann mich einen Patrioten nennen. Ich habe in meinem Freundeskreis Menschen aus Belgien, England, Frankreich, Indien, Italien, Kanada, Kongo, Niederlande, Polen, Schweden und den USA. Das stößt sich in keiner Weise damit.
  3. Asylgegner
    Das Wort transportiert nebenbei die Ansicht, man könne ein Gegner des Asylrechts sein. Das Asylrecht ist mit dem Artikel 16a aber ein Teil der unantastbaren Grundrechte (siehe Artikel 19, 2). Nach Artikel 17 hat jedermann das Recht, sich mit Bitten oder Beschwerden an die zuständigen Stellen zu wenden. Vielleicht sollten das die besorgten Bürger eher machen, als den Asylbewerbern zu drohen.
  4. echte Flüchtlinge vs. Wirtschaftsflüchtlinge
    Es seien keine echten Flüchtlinge, weil es nur junge Männer wären, aus Ländern, wo Deutsche Urlaub machen. Nun möchte ich nicht an dieser Stelle über die Urlaubsgewohnheiten mancher Deutscher urteilen. Der Begriff des Flüchtlings ist in der Genfer Flüchtlingskonvention geklärt. In Deutschland entscheidet darüber nicht ein Mob sondern das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bzw. ggf. das zuständige Gericht. Wenn im deutschen Verfahren die Flüchtlingseigenschaft festgestellt wird, ist dies übrigens lediglich ein deklaratorischer Akt; denn Flüchtling war man schon vorher.
    Tatsächlich ist die Flucht nach Naturkatastrophen in der Genfer Flüchtlingskonvention nicht vorgesehen. Das spricht meines Erachtens nicht gegen die Flüchtlinge, sondern gegen die Konvention. Selbstverständlich muss ich aber fair bleiben und die aktuelle Rechtslage bedenken. Interessant ist aber doch, dass gerade in einem Bundesland wie Sachsen, das nach der bankrotten DDR jetzt der prosperierenden Bundesrepublik angehören darf und bei den Elbehochwassern nicht nur die Solidarität dieser gesamten Bundesrepublik, sondern auch die 350 Mio. EUR schwere Hilfe der EU für zukünftigen Hochwasserschutz zu spüren bekam, nun so kleinlich reagieren möchte. 2002 mussten des Hochwassers wegen ganze Ortschaften in der Sächsischen Schweiz evakuiert werden. Wenn sich die Zeitgenossen des Weißeritz-Hochwassers in Freital erinnern mögen, haben sie sich 2002 auch wie Flüchtlinge gefühlt. Wie gefühlskalt müssen die FRIGIDA-Demonstranten sein?
  5. Wir sind das Volk
    Dieser Satz wird wohl noch in Jahrhunderten zitiert und diskutiert werden, ganz wie Soldaten sind Mörder und dann sollen sie Kuchen essen. Und wie diese anderen Sätze auch, entfernt er sich nicht nur von seinem historischen Ursprung, sondern mit gleichem Tempo von seinem Wahrheitsgehalt. Als am 7. Mai 1989 bei den Kommunalwahlen der DDR die Einheitsliste der Nationalen Front mit 98,85 Prozent bestätigt worden sein wollte, konnte mit Unterstützung kirchlicher Gruppen in einigen Wahlkreisen die offensichtlich und dreiste Wahlfälschung nachgewiesen werden. Die Montagsdemonstranten erinnerten die Mächtigen des Landes, das 1949 als Volksdemokratie gestartet ist, dass das Volk nicht auf gefälschten Wahlzetteln, sondern auf der Straße zu finden sei.
    Am 9. Oktober 1989 rief ein Leipziger Flugblatt dann den Einsatzkräften zu: Wir sind ein Volk! Gewalt unter uns hinterläßt ewig blutende Wunden! Für die entstandene ernste Situation müssen vor allem Partei und Regierung verantwortlich gemacht werden. Im November schon markierte dieser leicht veränderte Satz den Willen zur sogenannten Wiedervereinigung.
    Wenn heute die Demonstranten aus dem PEGIDA-Dunstkreis die Parole skandieren, schließen sie nicht andere ein, wie etwa die Sicherheitskräfte am Rande der Züge, sondern sie schließen alle aus, die nicht in ihre Definition von Volk passen. Sie maßen sich damit eine ungeheure und grundgesetzwidrige Deutungshoheit an, verstecken dies aber in einem allgemein positiv konnotierten Satz.

Lügenpresse, das Unwort des Jahres 2014, hat hier keinen Eingang gefunden, weil es eben kein Euphemismus ist. Es gehört aber selbstverständlich in die Reihe von Wortschöpfungen, -entlehnungen und Zitaten, die Victor Klemperer mit Argwohn betrachtete.